Unsere Gesellschaft und das Fernsehen lehren uns, dass wir auch als Mütter und Väter perfekt sein können oder sogar sein sollen. Perfekte Hobbies, perfekte Kinder, perfektes Aussehen, perfekte Karriere, perfekte Ausbildung, perfektes Haus, perfekter Garten, perfektes Leben. Das können wir in perfekten Hochglanzpostillen beim perfekten Frisör nachlesen oder in perfekten Landlustlebensheften und Do-it-yourself-Magazinen – und dann zuhause fleißig perfekt umsetzen. Und diese Perfektion dann vor unserer Umgebung als scheinbar uns zugeflogen, lässig und entspannt vertreten.

Hinter der perfekten Fassade verbirgt sich dann manchmal, dass Paare seit Monaten keinen Sex mehr haben. Dass sie nur noch im Befehlston miteinander sprechen. Dass das letzte "Ich liebe Dich" Wochen zurückliegt und dass sie mitunter eifersüchtig aufeinander sind, weil der oder die jeweils andere mehr Freiräume hat, um sich selbst, abseits der Familie und den damit verbundenen Aktivitäten und Verpflichtungen, zu verwirklichen.

Perfektion im Urlaub

Im Urlaub bin ich einigen perfekten Paaren begegnet. Perfektes Auto, perfektes Hotel, perfekte Kinder, perfekter Bikini, perfekte Figur, perfekte Cocktails, perfekte Strandbar, perfekt, perfekt, perfekt.

Die Erste in der Runde hat dabei ihre achtzehn Monate alte Tochter gestillt und gestanden, dass sie und ihr Mann erstmals in diesem Urlaub miteinander Sex hatten. Das erste Mal nach der Geburt. Wenn man sich einmal überwunden hat, ist es gar nicht mehr so schlimm. Sagt sie. Die Zweite geht jeden Montag, nachdem sie die Kinder in die Schule gebracht hat, zum Arzt, sich eine Infusion holen. Sonst schafft sie das Leben einfach nicht mehr. Sagt sie. Die Dritte gesteht nach der zweiten Flasche Rosé-Wein, dass der perfekte Geschäftsmann-Ehemann jeden Mittwoch nicht nur seine Arbeitskollegen trifft, sondern danach auch noch eine viel zu junge Blondine. Vielleicht braucht er das jetzt, er liebt mich sicher mehr und vor allem unsere Familie. Sagt sie. Fragend. Es gibt keine Antworten.

Die Kinder laufen um uns herum, genervte Blicke auf allen Seiten. Ich höre Sätze wie: Muss ich schon wieder die Windel wechseln? Kannst nicht einmal du auf sie schauen? Musst du ihm schon jetzt das zweite Eis kaufen?

Augenrollen, enervierte Blicke, verschränkte Arme

Die Kinder gehen auf einen Spielplatz in der Nähe, wir können sie alle sehen. Wenig später verletzt sich eines der Kinder an einem der dort stehenden Metallklettergerüste. Die beiden Elternteile beginnen ein Gespräch, das wir in abgewandelter Form vielleicht alle führen könnten – und niemals führen sollten: "Wie kannst Du sie nur dort spielen lassen? Das ist viel zu gefährlich!", "Das Kind hat sich nur aufgeschürft, es wird nicht daran sterben!", "Das kann nur passieren, weil Du….", "Aber warum hast nicht Du…".

Das Kind lacht schon wieder vergnügt und läuft mit einem gelben Nilpferdpflaster auf der Hand Richtung Strand, da streiten die beiden immer noch, und ich denke daran, wie verliebt sie sich noch vor einigen Jahren angesehen haben. Und jetzt? Augenrollen, enervierte Blicke, verschränkte Arme und mühsames Zusammenreißen vor den anderen. Ich frage mich, wie man so wird, wie das so wird und ob das zwischen Müttern und Vätern so werden muss?

Wo ist die Liebe hin?

Einer von uns macht einen blöden Witz und wir beginnen alle zu lachen. Das ist befreiend, aber nur für einen kurzen Moment. Wir realisieren nämlich auch in diesem Lachen, dass mittlerweile ein kleiner Kratzer, der morgen verheilt sein wird, einen Streit auslösen kann. Wir reden darüber, was denn tatsächlich mit uns los ist. Wo denn die große Liebe geblieben ist? Ist die noch da? Ist die schon weg? Kann man die wieder ausgraben? Und wenn ja, wie denn bloß? Wenn die Kinder groß und erwachsen sind und nicht mehr bei uns wohnen? Hoffentlich. Hoffentlich?

Dann geht eine Familie mit erwachsenen Kindern an uns vorbei. Der Mann hält seine Frau an der Hand, er streicht ihr durchs Haar und sie küsst ihn. Sie wirken so verliebt, wie man mit zwanzig ist. Oder vielleicht auch nach einer langen Beziehung mit großen Kindern, die über ihre verliebten Eltern lachend den Kopf schütteln. (Sanna Weisz, 21.8.2016)