Einst ein TV-Skandal, nun als Oper klar und mit Schärfe uraufgeführt: Die "Staatsoperette" von Komponist Otto M. Zykan.

Foto: BREGENZER FESTSPIELE/ANJA KÖHLE

Bregenz – "Vielleicht fühlt sich jemand auf den Schlips getreten, aber der Skandal fällt aus": Das wusste Dirigent Walter Kobéra bereits vor der Uraufführung dieses komplexen Stücks, das eine komplexbehaftete Phase der österreichischen Zeitgeschichte thematisiert. Vier bis sechs Jahrzehnte trennen den Fernsehfilm Staatsoperette von Franz Novotny (Film) und Otto M. Zykan (Text und Musik) von den Ereignissen, die er 1977 in den Blick rückte: die Phase zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem "Anschluss", vor allem jedoch den Austrofaschismus der 1930er-Jahre.

Seit der Ausstrahlung des Films im ORF – mit den Worten von Franzobel "der größte Skandal, den ein musiktheatralisches Werk in der Zweiten Republik erlebte" – sind wieder fast vierzig Jahre ins Land gezogen.

Wenn man die in der STANDARD-Edition "Der österreichische Film" erschienene Fernsehoper sieht, wird die zeitliche Distanz sehr deutlich. Sie ist aber auch in jener Bühnenfassung spürbar, die die Witwe des Komponisten, Irene Suchy, gemeinsam mit dem Komponisten Michael Mautner erarbeitet hat. Unverkennbar von den 1970ern geprägt bleibt die bilderstürmende, rotzfreche Ästhetik, die das Libretto und die Musik auszeichnet: grotesker verbaler Nonsense mit einem Hang zum Sprachspiel und Lautgedicht, groteske Entstellung musikalischer Klischees vom Walzer und Marsch bis zur Revue. Das Ensemble Amadeus unter Kobéra lässt an Klarheit und Schärfe nichts zu wünschen übrig, hochambitioniert agieren alle Sängerinnen und Sänger.

Ein einziger möglicher Einwand richtet sich weniger an die Produktion als an das Stück: Gerade die Gesangspartien sind so stark vom eigenwilligen Stil ihres 2006 verstorbenen Urhebers geprägt, von seinem chamäleonartigen Wechsel zwischen bassigem Grummeln und Fisteln in höchsten Höhen, dass sie diese einmalige Wirkung einbüßen, gleich wer sie und wie gut er sie interpretiert. Ein wesentlicher Unterschied zum Film betrifft die Wirkung der Bühnenfassung, die bereits Zykan ins Auge gefasst, aber nie realisiert hatte: Das Groteske ist zwar nicht weniger präsent, tritt aber ein wenig in den Hintergrund. Das liegt zum einen daran, dass die reale Präsenz der Ausführenden im Raum ein höheres Maß an emotionaler Beteiligung vermittelt.

Der Geschichtslehrer

Zum anderen ändert sich das Projekt durch die gegenüber dem Film hinzugefügten Teile: Ein beflissener, protokollarischer Kommentator (Stephan Rehm) trägt nämlich wie ein Geschichtslehrer die historischen Hard Facts vor und macht etwa deutlich, wie sehr schon am Beginn der Ersten Republik der Streit zwischen den beiden großen Parteien zum politischen Alltag gehörte, bevor er letztlich in "Die Austrotragödie" – so der Untertitel dieser Version des Werks – führte.

Außerdem hinzugefügt wurden zwei Frauen, die Die Rechte (Barbara Pöltl) und Die Linke (Laura Schneiderhan) heißen und einzelne Schicksale aus dem Alltag der Bürgerkriegsparteien exemplarisch vorführen; naturalistische Verzweiflung inklusive.

Im Gegenzug treten die Bundeskanzler Ignaz Seipel, Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg sowie Adolf Hitler und Benito Mussolini in der scharf konturierten Inszenierung von Simon Meusburger zugleich als Sänger und als Puppen aus der Werkstatt von Nikolaus Habjan auf, so dass sie so grotesk und entrückt wirken, wie es ihrer musikalischen Verfremdung entspricht. Dennoch kommt in der tiefschwarzen Geschichtsstunde ein anspielungsreich servierter Gegenwartsbezug stärker zum Vorschein als der Witz, mit dem das Ganze serviert wird. (Daniel Ender, 3.8.2016)