Wien – Die alte weiße Tür führt nirgendwo mehr hin, sie lehnt lediglich an einer zinngrauen Wand. Aus den Angeln genommen, ist sie nicht viel mehr als ein Stück Holz, wertlos, ja nutzlos geworden wie die windschiefe Kleiderstange, der dreibeinige Sessel, der brüchige Teppich oder der zerbeulte Abfalleimer. Weggeworfenes, das der 40-jährige Künstler Edson Chagas auf den Straßen von London, in Newport und auch in seiner Heimatstadt Luanda in Angola fand und dem er "eine Art von Respekt zurückgab."

Chagas suchte einen neuen ästhetischen Wirkungsraum für das in den seltsamsten Winkeln Aufgestöberte, setzte es manchmal zwei Meter, ein anderes Mal zwei Kilometer vom Fundort entfernt in Szene, sorgte wieder für eine Interaktion der Gegenstände mit dem Raum. Vor einer leuchtend meerblauen Mauer erscheint ein graues Abflussrohr wie ein Objekt der Minimal Art, in Umarmung mit einem Stahlträger hat sich ein Fragment eines Freischwingers wieder komplettiert, eine Satellitenschüsselruine verliert in ihrer neuen Umgebung ihre Traurigkeit, erscheint wie eine Skulptur.

Er wolle "Harmonie kreieren", sagt Chagas. Es ist eine Harmonie, die aus den spannenden Verhältnissen entsteht, in die er Formen, Farben und Strukturen bringt. Das Nutzlose werde so auf eine Art wieder lebendig, sagt er über die tatsächlich wenig mit Stillleben gemein habenden Aufnahmen seiner seit 2008 verfolgten Serie Found Not Taken. Der Titel erklärt sich ganz einfach: Ein Nachleben des Gefundenen gibt es nur in Chagas' Fotografien; der Künstler hat die Objekte nicht aufbewahrt, sondern im öffentlichen Raum belassen.

2015 erschien im Kehrer Verlag das Buch zur Serie "Found Not Taken".
Kehrer Verlag Heidelberg

Als Porträts betrachtet er die Fotos der morbid-schönen Reihe, aus der nun einige im Kunsthaus Wien zu sehen sind. Es ist eine nüchterne Galeriesituation, nicht zu vergleichen mit dem Setting inmitten von Renaissance-Gemälden im Palazzo Cini bei der Venedig-Biennale 2013; damals wurde der Pavillon Angolas – und damit also Chagas' Arbeit – mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet.

Für Chagas sind diese Porträtstudien aber insbesondere eine Beschäftigung mit urbanen Lebensräumen. Ihnen und ihren sozialen Aspekten gilt sein Interesse. Was verraten sie über das Konsumverhalten einer Gesellschaft? Eine Frage, die vor Chagas' Biografie zu lesen ist. Denn als 1992 nach den Wahlen in der autoritären Präsidialdemokratie der Bürgerkrieg weiterging, verließ seine Familie Angola in Richtung Lissabon. Später studierte er in London und Newport, wo ihm die vielen ausrangierten Dinge im Stadtbild auffielen, die im Luanda seiner Kindheit stets wiederverwertet wurden. Erst 2008 kehrte er zurück und musste feststellen, dass auch hier der Konsumgüterverbrauch die Recyclingkultur verdrängt.

Es sind dieser rasante Wandel Luandas und Angolas aus Rohstoffschätzen wachsender Reichtum, die der ausgebildete Fotojournalist und -dokumentarist nun mehr fokussiert. In diesem Kontext gewänne Found Not Taken zu poetischen Qualitäten sicher auch politische Schärfe hinzu. (Anne Katrin Feßler, 1.8.2016)

Kunsthaus Wien, bis 30.10.

Foto: Edson Chagas
Foto: Edson Chagas
Foto: Edson Chagas
Foto: Edson Chagas
Foto: Edson Chagas