Blattschneiderameisen leben in komplex organisierten Kolonien. Im Bild: Königin, Arbeiterinnen und Larven. Sie alle leben von den proteinreichen, knollenartigen Verdickungen eines Pilzes.

Foto: Karolyn Darrow

Kurzfilm über Blattschneiderameisen.

Smithsonian Channel

Washington – Die Ausbreitung der Landwirtschaft und damit der Sesshaftigkeit vor über 11.000 Jahren war eine Revolution – für den Menschen. Doch schon lange vor der sogenannten neolithischen Revolution hatten andere Spezies eine landwirtschaftliche Lebensweise für sich entdeckt, und zwar in einer Perfektion, die der Mensch bis heute nicht übertreffen konnte: Die Rede ist von Ameisen.

Bereits im Jahr 1874 machte der Biologe Thomas Belt eine bemerkenswerte Entdeckung: Blattschneiderameisen fressen die von ihnen zerlegten Blätter gar nicht selbst, sondern verwenden sie als Substrat, um einen Pilz zu kultivieren. Erst durch die raffinierte, Fließband-artig organisierte Zucht und Pflege des Pilzes entstehen eiweißhaltige Verdickungen, die den Insekten schließlich als Nahrung dienen. Die fast 30 Arbeitsschritte bis zur Ernte werden von den Ameisen penibel organisiert, der Pilzanbau erreicht ein regelrecht industrielles Ausmaß.

Neuer Lebensstil

Nun fanden Forscher des Smithsonian National Museum of Natural History heraus, dass diese bemerkenswerte Symbiose schon viel älter ist als gedacht: Wie Jacobus Boomsma und Kollegen in "Nature Communications" berichten, könnten Ameisen schon vor 60 Millionen Jahren mit dem Pilzanbau begonnen haben – also schon relativ bald nach dem Verschwinden der Dinosaurier.

Der Schlüssel zu dieser uralten wie bemerkenswerten Symbiose liegt im Erbgut von Pilz und Ameisen. Boomsma und sein Team untersuchten nun die Gene von sieben südamerikanischen Ameisenarten (aus dem Tribus Attini) und ihren Pilzpartnern genauer. Dabei fanden sie Hinweise auf große genetische Umbrüche vor 55 bis 60 Millionen Jahren: Zu diesem Zeitpunkt dürften die Vorfahren der untersuchten Arten ihren Lebensstil dramatisch verändert haben. Lebten sie bis dahin als Jäger und Sammler, entdeckten sie nun einen nahrhaften Pilz für sich, der auf Überresten von Pflanzen gedieh. Sie begannen, sein Wachstum gezielt zu unterstützen.

Dramatische Auswirkungen

"Die Ameisen verloren viele Gene, als sie mit dem Pilz-Anbau begannen", sagt Boomsma. Dadurch büßten sie unter anderem die Fähigkeit ein, eine wichtige Aminosäure (Arginin) zu bilden – und wurden so von der Versorgung durch den Pilz abhängig. Die Pilze wiederum konnten ihre Verbreitung und Überlebenswahrscheinlichkeit deutlich erhöhen, indem sie die Insekten mit Nahrung versorgten, und verloren ihrerseits im Lauf der Zeit die Fähigkeit, bestimmte Enzyme zu bilden. "Das führte zu einer beispiellosen evolutionären Kaskade", so Boomsma.

An deren Ende stehen heute Ameisen- und Pilzarten, die ohne einander nicht existieren können. Trotz dieser gegenseitigen Abhängigkeit zollt Boomsma den Insekten großen Respekt für ihre landwirtschaftliche Leistung: "Umgelegt auf den Menschen würde das bedeuten, ein universell einsetzbares, krankheits-, schädlings- und trockenheitsresistentes Supernahrungsmittel im industriellen Maßstab zu produzieren – und das seit Anbeginn der Zivilisation." (red, 1.8.2016)