Das Festgelände vor der Karlskirche.

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Wien – Die gelungensten Parties sind nicht selten die, um die man nicht viel G'scher betreibt: Keine Ambitionen zum Durchhalten bis in die frühen Morgenstunden, kein ausgetüftelter Parcours durch die angesagtesten Lokale – ja, die, die auf Nummer sicher gehen wollen, verzichten vielleicht sogar auf die Dusche vorm Verlassen des Hauses! Relativ voraussetzungslos, d. h. ohne Notwendigkeit zu Geld und Zelt, dient sich das Popfest am Wiener Karlsplatz diesem ungeschriebenen Gesetz folgend dem vorbeischauenden Publikum als öffentliche Spaßzone an.

Dass Das Trojanische Pferd als Abschluss des zweiten Tages die Bühne wegen technischer Probleme erst um viertel vier, d. h. mit eineinviertelstündiger Verspätung, betreten konnten, hat sich dabei eben ergeben. Ob man frisch geduscht war, oder nicht, war in der brut-Hitze jedenfalls schon einerlei. Ein Fest wurde es trotzdem. Und durchaus abwechslungsreich zeigte sich bis dahin der Quer- und Durchschnitt des alpenländischen Musikschaffens.

Quer- und Durchschnitt

Den Übergang vom Büroschluss in den Feierabend besorgten Chili And The Whalekillers. Mit der Endlosschleife "It’s a sunshine day" hatte die Combo schon mal recht. Um jenen entsprechend genießen zu können, sang sie denn auch gegen die Lohnarbeit an und leistete sich dazu den Luxus zweier alternierender Leadsänger und eines leicht dandyesken Idioms. Ungeteilt hingegen war die Experimentier- und Spielfreude der salzburgisch-isländischen Gruppe: happy, dramatisch, sehnsuchtsvoll oder balkanesk-tanzwütig legten sie einem die Arme um und raunten: Hier bist du gut aufgehoben. Oder um es in den Worten des öffentlich-rechtlichen Piratenradios, das hinter dem viertägigen Treiben steht, zu sagen: You're at home, baby.

Chili and the Whalekillers

Weiter ging es mit härterem Rock von Sex Jams, Dreampop von Little Big Sea, den Crispies, die sich Gedanken darüber machten, ob man sich mit dem Wasser am Klo, das man nicht trinken darf, überhaupt das Gesicht waschen will. Zwar fehlte der kleinen Ansage irgendwie die Pointe, dafür führte sie allerdings zur viel umfassenderen Frage: "Warum ist alles so, wie es ist?" Und die ist auch am Popfest eine gute:

Dawa traten akustisch mit Gitarre, Perkussion, Cello und Harfe auf. Dass Letztere nicht immer dabei ist etwa, erklärte man mit dem fehlenden Bandbus. Ein bisschen melancholisch waren die Songcontestvorausscheidler von 2015 aber nicht nur deswegen, sondern das ist Grundausstattung der getragenen Nummern.

Im Fall von Leyya, dem anderen Open-air-Hauptact, beantwortete sich die Frage, warum die Eferdinger nach vorigem Jahr schon wieder mit von der Partie waren (eigentlich ein Popfest-No-go), schlicht mit dem Umstand, dass sie und ihr atmosphärischer Sound seither europaweit an Bekanntheit und Erfolg zugelegt haben, etwa beim Eurosonic Festival.

Gustostückerl aus den Randzonen

Mit fortgerückter Nachtstunde verlegte sich der Hotspot von der blinkenden Freiluft-"Seebühne" im Becken vor der Kulisse der Karlskirche in die intimeren Locations rundum. Im Prechtlsaal der TU packte etwa das Duo Ash My Love seinen dreckigen Garage-Blues-Rock aus, viel ruhiger ging es die Wiener Sängerin und Produzentin The Unused Word im Heuer an.

Rambo Rambo Rambo Official

Und im brut näherten sich von den Randzonen des Pop her wahre Gustostückerl des Abends. Zuerst mit Rambo Rambo Rambo: Satt, schwer und opulent wie ein James Bond- oder Tarantino-Soundtrack kam daher, was die drei Jungs mit ihren Bässen und unterstützt von Saxofon, Posaune und Streichern ablieferten. Laid back, im Ohr zugleich irgendwie nostalgisch, dreistimmig gesungen – eine Collage von musikalischen Pathosformeln.

Goa (im Programm als Spechtl, Erradi, Immler geführt) hieß die Folgeband, eingeflogen aus Berlin für das erste Konzert der noch jungen gemeinsamen Karriere. Getrennt voneinander haben sie solche schon lange: Andreas Spechtl als Sänger und Songschreiber von Ja, Panik; Rabea Erradi als Ex-Bassistin der Heiterkeit aus Hamburg; Chris Immler solo und als Schlagzeuger von Peaches. Zusammen machen die zwei Gitarren und eine Perkussion eine Art instrumentales Rock-Techno.

Ambient-Electronic folgte von Ant Antic, einem weiteren Zweitverwertungsprojekt. Irgendwo muss solch überquellender Schaffensdrang ja hin, es soll der Schaden des Publikums nicht sein, dass dessen eine Hälfte, Marco Kleebauer, nur Stunden zuvor bereits als zweite Hälfte von Leyya gespielt hatte.

Schließlich für viele der Höhepunkt: Wie schon Rambo Rambo Rambo trat auch Das Trojanische Pferd mit Bläserverstärkung auf. Allerdings mit spontan eingefädelter: die fantastischen Federspiel gesellten sich für die Hälfte der Nummern (darunter Staub vom neuen Album Dekadenz und Klassiker wie der Anton aus Tirol/Summertime-Verschnitt oder Es geht si aus) mit auf die Bühne. "Ja so sind die Menschen, sie sind unterschiedlich", weisheitelte Frontmann Hubert Weinheimer ohne Hose. Das ist etwas Schönes an den Menschen, etwas noch Schöneres aber ist: Sie passen trotzdem gut zusammen. Und wenn nicht, kann dabei immer noch so etwas wie die Zeile "Mein Herz schlägt mich innerlich tot" herauskommen, mit der die Menge die bereits abgetretene Band zur Zugabe noch einmal auf die Bühne zurücksang. (wurm, 30.7.2016)