"New Deal", "Erfolgreich. Österreich" – nicht auf Kinder und Alleinerziehende vergessen.

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Mit Freude verfolge ich Ihr gemeinsames Bekenntnis zum "New Deal". Besonders hellhörig bin ich bei der dritten Säule, der Stärkung der Kaufkraft, da diese bei Ein-Eltern-Haushalten nur unzulänglich vorhanden ist.

Die Armutsquote der Haushalte von Alleinerziehenden in Österreich beträgt mittlerweile 42 Prozent (EU-SILC 2015). Das bedeutet, dass fast jede zweite Alleinerziehende (93 Prozent sind Frauen) mit ihren Kindern von Armut betroffen ist.

Wie im Hamsterrad

Alleinerziehende sind Leistungsträgerinnen, die öfter Vollzeit arbeiten als Mütter in Partnerschaften (Statistik Austria 2012) und die ihr Multitasking – zum Erhalt der Republik – täglich erfolgreich unter Beweis stellen. Wegen massiver struktureller Benachteiligungen jedoch weiß fast jede Zweite am Monatsende nicht, wie sie über die Runden kommen soll: Sie spart am Essen, an der Kleidung, verschiebt die Zahlung von Rechnungen, was teuer werden kann, verzichtet auf Bücher und Zeitungen, auf Eis und Schwimmengehen, obwohl ihre Kinder dringend Bewegung an der frischen Luft bräuchten, und sie kommt am Abend selten zur Ruhe, weil sich ihre Gedanken ums Geld wie in einem Hamsterrad drehen, während sie um 22.30 Uhr die Wäsche aufhängt und noch schnell ins Kinderzimmer huscht, um aufzuräumen, während sie versucht, nicht daran zu denken, dass sie sich auch in diesem Jahr keinen Kindergeburtstag für die fünfjährige Tochter leisten kann.

Alarmierende Armut

Die Armutsbetroffenheit von 42 Prozent der Ein-Eltern-Haushalte ist alarmierend, zumal längst klar ist, dass die Lücken im Unterhaltsvorschussgesetz als Hauptursachen der Kinder-und Jugendarmut von Alleinerziehenden gelten.

Laut der ÖPA-Befragung im Jahr 2014 bekommen 54 Prozent der Kinder und Jugendlichen von Alleinerziehenden zu wenig (gemessen an den Regelbedarfssätzen) und 18 Prozent gar keine Alimente oder Unterhaltsvorschuss – auch weil sie an den Ämtern falsch beraten werden oder die Grauzonen in der Rechtsprechung eine traurige Tatsache sind.

Präventive Kindesunterhaltssicherung

Die dringend notwendige Reform des äußerst komplex gewordenen Unterhaltsvorschussgesetzes steht im Regierungsprogramm, eine Arbeitsgruppe zum Thema hat sich bisher allerdings weder auf Nationalratsebene noch im Justizministerium gebildet. Dabei wissen wir, dass die lebenslänglichen Folgekosten von Kinder- und Jugendarmut in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Justiz erheblich und von uns Steuerzahlenden zu tragen sind.

Experten sind der Meinung, dass hier eine präventive Kindesunterhaltssicherung sinnvoll wäre. Diese beinhaltet einen Mindestbetrag (als Äquivalent zur Luxusgrenze) an Unterhaltszahlungen, eine Koppelung an die Familienbeihilfe statt der Einstellung zum 18. Geburtstag und die sofortige Streichung der Paragrafen 16 und 19 des Unterhaltsvorschussgesetzes, die die Innehaltung beziehungsweise dauerhafte Herabsetzung mit sofortiger Wirkung ermöglichen, was in Europa einzigartig ist.

Die Auswirkungen

Welche Auswirkungen die aktuelle rechtliche Situation hat? Drei Beispiele: Eine mir bekannte Alleinerziehende wartet seit fünf Jahren auf den Urteilsspruch und bekommt deswegen einen massiv reduzierten Unterhaltsvorschuss. In einem anderen Fall wurde die Unterhaltsvorschusszahlung wegen einer zu spät eingereichten Schulbesuchsbestätigung beim Übertritt in die Oberstufe eingestellt. Trotz sofortiger Nachreichung beträgt die Wartezeit zur Wiederauszahlung mittlerweile fünf Monate. Und schließlich aus eigener Erfahrung: Meine Kinder erhielten in der 13 Monate dauernden Wartezeit nach Antragsstellung des Kindesvaters auf Unterhaltsherabsetzung 100 Euro. 30 Euro für mein jüngstes, 30 Euro für mein mittleres und 40 Euro für mein ältestes Kind. Die 13 Monate der verwalteten Kinderarmut prägten.

Wie viel Geld eine Kindesunterhaltssicherung, in der Höhe der Regelbedarfssätze, im Vergleich zu den jetzigen Ausgaben – allein in der Justiz – kosten würde, man weiß es nicht. Es gibt keine Zahlen. Weder wissen wir, wie viele Unterhaltsherabsetzungsanträge im Jahr 2015 gestellt wurden, wie lange die durchschnittlichen Wartezeiten waren, in denen geprüft wurde, wie viel der Unterhaltspflichtige tatsächlich zahlen könnte, wonach sich die Höhe der Unterhaltsvorschüsse richtet, noch kennen wir die Differenz der ausgezahlten Unterhaltsvorschüsse vor und nach Antragsstellung auf Herabsetzung. Dabei geht es hier um Steuergelder.

Vorgeschobene Kinderkostenanalyse

Wir wissen auch nicht, wie viel Geld die wiederholten Gerichtsverfahren kosten, die entstehen, weil sich ehemalige Partner angesichts der drohenden Armut vor dem Gesetz bekämpfen, was nachhaltige Folgen für das Kindeswohl hat. Wir wissen auch nicht, wie hoch die getätigten Unterhaltsvorschüsse im Vergleich zu den Regelbedarfssätzen sind, obwohl es sich auch hier um Steuergelder handelt, deren gewissenhafte Verwaltung Aufgabe des Staates ist.

Die seit Jahren von der Politik angekündigte Kinderkostenanalyse, die als Grundlage einer Reform des Unterhaltsgesetzes vorgeschoben wird, ist nach wie vor in Planung. Ich empfehle, ebenfalls seit Jahren, die existierenden Referenzbudgets der Schuldnerberatung beziehungsweise die Regelbedarfssätze heranzuziehen, wenn es darum geht, Zahlungen im Sinne des Kindeswohls zu tätigen und nicht, wie derzeit gehandhabt, die Zahlungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners als Bemessungsgrundlage zu nehmen.

Problem Doppelresidenzregelung

Nach der EU-Rats-Empfehlung im November 2015 in Bezug auf die Doppelresidenz und die bereits gelebte gemeinsame Obsorge – auch wenn Gewalt in der Beziehung ein Thema war – ist hingegen zu befürchten, dass die Armutsquote noch weiter steigen wird. Laut Rechtsanwältin Helene Klaar kann der Unterhaltsanspruch bereits verfallen, wenn die Kinder mehr als ein Drittel beim Vater sind, auch wenn die Mutter bis zu einem Drittel weniger verdient.

Wenn wir davon ausgehen, dass die österreichische Mutter aufgrund des Gender-Pay-Gaps durchschnittlich ein Drittel weniger verdient als der Vater und dieser die derzeit häufigste Kontaktregelung – alle 14 Tage ein Wochenende, plus ein Tag in der Woche, plus 14 Tage Urlaub – um nur fünf Tage im Monat ausweitet, hat das Kind, das zwei Drittel der Zeit bei der Mutter lebt, keinen Anspruch mehr auf Alimente oder Unterhaltsvorschuss. Was sich da als moderne und vernünftige "Doppelresidenz" einschleichen will und bereits vor Gericht umgesetzt wird, ist nichts anderes als die Zementierung der Kinderarmut in Ein-Eltern-Familien.

"New Deal" gegen Kinderarmut

Der "New Deal" in den 30er-Jahren setzte sich aus mehreren Säulen zusammen: Neben Finanz-, Wirtschaft- und Sozialreformen wurde unter anderem besonderes Augenmerk auf die Kinder von Alleinerziehenden gelegt. Das wäre auch heute ratsam, da diese in Österreich mehr als doppelt so oft von Armut betroffen sind als andere Kinder (Statistik Austria 2015).

Zahlreiche Politikerinnen und Politiker, NGOs, allen voran Sonja Ablinger, Vorsitzende des österreichischen Frauenrings, finden die derzeitige Rechtslage dringend reformbedürftig. Hier können Sie also bei der Umsetzung des Regierungsprogrammes "Erfolgreich. Österreich" mit einer breiten Unterstützung rechnen.

Auch weil die Reform des Unterhaltsvorschussgesetzes ebendort auf Seite 47 unter der Rubrik "Sicherheit für Frauen erhöhen" – Maßnahmen: soziale Sicherheit und Gewaltschutz – in Zeiten der kontrovers geführten Debatte über die Sicherheit von Frauen aktueller denn je ist.

Die Zeit drängt, denn Alleinerziehende sind Wählerinnen, und ihre Kinder haben nur diese eine Kindheit. Sie brauchen für die kommende Wahl sichtbare Erfolge: Erklären Sie die Reform des Unterhaltsgesetzes zur Chefsache. (Maria Stern, 1.8.2016)