Der kongolesische Schriftsteller Fiston Mwanza Mujila schaffte es mit seinem Debüt "Tram 83" auch unter die Nominierten für den Man-Booker-Prize.

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Fiston Mwanza Mujila, "Tram 83". Aus dem Französischen von Katharina Meyer und Lena Müller. € 20,60 / 208 Seiten. Zsolnay, Wien 2016

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Literatur kann lebensgefährlich sein. Der Schriftsteller Lucien, Hauptfigur aus Fiston Mwanza Mujilas Roman Tram 83, wird dies schmerzhaft am eigenen Körper erfahren.

In seinem Stück, einem seit Jahren wuchernden Werk, treffen historische Persönlichkeiten wie Che Guevara, Lumumba, Martin Luther King oder Ceausescu aufeinander. – "Ich möchte das Gedächtnis eines Landes, das nur auf dem Papier existiert, wieder zum Leben erwecken", erklärt er einem möglichen Verleger. Die erste Lesung gerät zum Fiasko. Er wird beschimpft, der Saal verwüstet, sein Manuskript landet auf dem Boden, am Ende prügeln sie auf ihn ein.

Lucien hat mit dem titelgebenden Nachtclub Tram 83 eindeutig den falschen Ort für seine Veranstaltung gewählt. Dieser ist ein Tummelplatz für Besucher, die für hehre Ideen keine Muße haben, hier wird getrunken, musiziert und gefeiert, Minderjährige und Langzeitprostituierte bieten ihre Körper feil, und in den Toiletten wird dementsprechend ungeniert Unzucht getrieben.

Tram 83 ist der Brennpunkt des Debüts des kongolesischen Autors, eine Interzone wie aus den literarischen Rauschwelten eines William S. Burroughs, in der eine Gesellschaft die Mühen des Tages abschüttelt, sich kurz vergessen will. Ein Raum dionysischer Entfesselung, die jedoch die Macht- und Kapitalverteilungen der umliegenden Stadt nicht aufhebt, sondern vielmehr auf die Spitze treibt. Das Geld fließt weiter.

Gute Absichten, anachronistischer Blick

Doch es geschieht freilich mit Bedacht, dass Mujila, 1981 in Lubumbashi geboren – der Stadt, die dem "Stadtland" des Romans als Vorbild dient -, an einem solchen Ort die Literatur ins Spiel bringt. Luciens Methode der Repräsentation Afrikas erscheint ihm unangemessen, anachronistisch. Der Blick dieses Historikers, der am Anfang des Buches mit guten Absichten in der Stadt ankommt, doch seine Distanz zu dem ekstatischen Treiben nicht ablegt, muss äußerlich bleiben. Nur wer die Rhythmen und Eigenheiten dieses Alltags lebt, kann sie erfassen.

"Es gibt Städte, die brauchen keine Literatur: Sie sind Literatur. Sie sind stolz und stehen mit beiden Beinen im Leben. Sie strotzen vor Selbstbewusstsein und mögen sich trotz der Müllsäcke, die sie mit sich selbst herumschleppen." Mujila muss diese Sätze, die wie eine Antwort auf Luciens Bemühungen erscheinen, in einem späteren Kapitel gar keiner Person mehr zuweisen. Der Roman selbst ist diese Antithese: ein polyphones Klangbild der Stadt.

Klischeehafte Afrikabilder will Mujila damit durchbrechen. Bestehende Hierarchien und Wertesysteme, die Erbarmungslosigkeit einer postkolonialen Gesellschaft, sie werden nicht länger bekämpft, der Autor eignet sich diese an und bestärkt sie. Die Bruchstücke unterzieht er einer sprachlichen Zurichtung, er überhöht sie, spitzt sie zu, karikiert sie, ohne dass sie ihre Referenzialität einbüßen. Das Figurenarsenal aus "Single-Mamis", "gewinnorientierten Touristen", Kindersoldaten, Jihadisten und schwanzgesteuerten Generälen wirkt am Ende wie ein Substrat diverser globaler Moloche.

Soli einer energiegeladenen Musik

Ausbeutung, Gewalt, Ungleichheit, rohe Sitten, Korruption – bei Mujila sind das Elemente, die sich zu einer energiegeladenen Musik umformen lassen. Den Jazz bringt der Autor, der seit sieben Jahren in Graz zu Hause ist und selbst Musiker werden wollte, eigenhändig als Gestaltungsprinzip ein. Im Tram 83 sind es John-Coltrane-Wiedergänger, die ganze Nächte durchspielen. Halbe Seiten sind nur mit Aufzählungen gefüllt, losgelöste Soli, die etwa dem Los von Gruben- und Sexarbeitern gelten.

Die mit Rhythmen, abrupten Übergängen und Wiederholungen arbeitende Sprache umgeht Linearität, sucht stattdessen nach einem existenzialistischen Jetzt-erst-recht, nach Lebensmaximen, was mitunter gar an Henry Miller Oden an Paris erinnert. Einzig Luciens literarische Anstrengungen gegenüber dem unverlässlichen Verleger Ferdinand Malingeau sowie sein Verhältnis zu Requiem, einer weiteren wichtigen Figur, verleihen dem Buch erzählerischen Halt.

Requiem, auch Negus genannt, ist, anders als Lucien, ein Kollaborateur mit dem Status quo. Die Welt ist nicht zu retten, lautet seine Maxime. – "Die Tragödie ist schon geschrieben, wir sind nur das Vorwort." Sein Geld bezieht er angeblich durch ein gefinkeltes Erpressungssystem. Von den meisten Touristen besitzt er Fotos in heiklen Stellungen.

Schwierige Perspektiven

Die hohlen Phrasen seines einstmaligen Freundes Lucien sind ihm zuwider. Wenn ihm dieser mit seiner Idee von Lokomotivenliteratur konfrontiert ("Mir ist klar geworden, dass ich meinen Sätzen die Lebenswut dieser Züge, der Züge von hier, einhauchen möchte. Ihre Präsenz, ihren Stolz, ihre animalische Wucht, ihre Baufälligkeit und den Rost, der sie zerfrisst"), dann kontert er ihm mit seinen filmhistorischen Abschweifungen. Mujila betont damit, wie schwierig es für einen Autor ist, eine schlüssige Perspektive zu finden.

Nicht nur solche mit Absicht missglückten Konfrontationen fordern aufmerksame Leser. Mujila hat Tram 83 auf Französisch geschrieben – die beiden deutschen Übersetzerinnen haben ganze Arbeit geleistet, den rhapsodischen Geist des Buches zu erhalten. Angesichts dieser Experimentierfreudigkeit ist es fast erstaunlich, dass es bereits auf eine beachtliche Erfolgsgeschichte zurückblicken kann. Aber wie viele Romane vermögen es schon, einer brutalen Lebenswelt eine sehr körperliche Form von Widerstandsgeist zu entreißen? "Das Vorspiel", heißt es ganz oft darin, "wird oft überbewertet." (Dominik Kamalzadeh, Album, 30.7.2016)