"Orte für Menschen": Biennale-Kommissärin Elke Delugan-Meissl gibt das Geld nicht in Venedig aus, sondern in Wien.

Foto: Caramel Architekten

Gemeinsam mit den Architekten Caramel, The Next Enterprise und dem Designbüro Eoos wurden leerstehende Bürobauten gefunden und für Flüchtlinge adaptiert.

Foto: Caramel Architekten

Wann kommen die Computer?" Eine Horde Kids umzingelt den Leiter des Notquartiers in der Pfeiffergasse und fragt ihm Löcher in den Bauch. "Und wann werden die Computer ans WLAN angeschlossen? Wann, wann, wann?" Kurze Pause. "Was? Erst morgen? Warum erst morgen?" Kurze Pause. "Ah, morgen früh schon! Juhuuu!" Und weg sind sie, verschwunden hinter meterweise Stoff, um die frohe Botschaft unter den rund 260 Bewohnerinnen und Bewohnern im Haus zu verbreiten.

Das Caritas-Notquartier für Flüchtlinge war einst ein ganz normales Bürohaus im 15. Wiener Gemeindebezirk, eine Trutzburg mit Waschbetonfassade und niedriger Raumhöhe, errichtet zu Beginn der Neunzigerjahre. Nun wird das Haus bis Jahresende von Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan, Iran und dem Irak bewohnt. Ein Teil der nunmehr unter dem Sonnenschirm Schlafenden stammt auch aus Nepal, Tschetschenien, Tadschikistan.

Das Projekt geht auf eine Initiative der diesjährigen Biennale-Kommissärin Elke Delugan-Meissl zurück. Anstatt das Budget für den österreichischen Beitrag wie sonst üblich in Venedig auszugeben, entschied sich die mit dem Österreichischen Staatspreis ausgezeichnete Architektin, das Geld diesmal in Wien zu belassen und für dringend benötigte Flüchtlingsprojekte zu nutzen.

Unter dem Titel "Orte für Menschen" sind reale, sinnvolle und voll funktionstaugliche Lebensorte für Menschen entstanden. Gemeinsam mit den Architekten Caramel und The Next Enterprise sowie dem Wiener Designbüro Eoos wurden drei leer stehende Bürobauten rund um die Innenstadt ausfindig gemacht und mit diversen Einbauten, Implantaten und baulichen Adaptierungen versehen.

Zum Beispiel mit knallgrünen Sonnenschirmen, wie im Fall von Caramel. Mit Stoffbahnen, die zu kilometerlangen Vorhängen zusammengenäht wurden, mit billigen PVC-Abwasserrohren, die nun von der Decke baumeln und als Gardinenstange dienen, mit Stofftaschen für Topfblumen, mit kleinen Leselampen, mit eigener Steckdose zum Aufladen des iPhones sowie mit Tausenden, ja Abertausenden Kabelbindern.

Dieses so geschaffene absolute Minimum an Wohnkomfort soll von den Grausamkeiten der politischen Situation ablenken und das Warten auf den Asylbescheid etwas schöner, etwas menschenwürdiger machen.

"Ich finde die Sonnenschirme und Vorhänge sehr lustig", sagt Marzir Khoweri. Die 20-jährige Friseurin ist aus Afghanistan geflüchtet und hat sich an der Nähaktion tatkräftig beteiligt. "Zwei ganze Monate haben wir daran genäht! Aber zumindest können wir die großen Büroräume jetzt wie eine kleine Wohnung nutzen. Mit Wohnbereich, mit Schlafzimmer und mit eigens abgetrennten, unterschiedlichen Zonen für die Kinder. So hat jeder von uns ein bisschen Privatsphäre." Nicht selten werden die Rohre und Schirme zweckentfremdet und als Wäscheleine, Wäschespinne genutzt. Alles ist möglich.

Ein Hauch von Wohnzimmer

Genau das sei der Plan gewesen, meint Günter Katherl von Caramel. "Die Situation in einem Notquartier ist brutal, weil es in der Regel darum geht, Grundrechte zur Verfügung zu stellen und den Menschen einen Platz zum Essen und zum Schlafen zu geben. Für Schönheit und Wohnkomfort ist meist kein Platz. Wir wollten genau das nachholen. Wir wollten den Menschen einen Hauch von Wohnzimmergefühl vermitteln."

Scheinbar mit Erfolg. Es wird gespielt, gelesen, gegessen, geschlafen und geschnarcht. Man hört alles, was der billigen, textilen Bauweise (50 Euro Materialkosten pro Raum) geschuldet ist, doch man sieht nie mehr als seinen eigenen Privatbereich.

"Wissen Sie, hier zu sein, mitanzupacken und diese Zimmer mitgestalten zu können, ist ein Geschenk", sagt Amir Hassan Schahriwar. Der 48-jährige Maler, Tischler und Installateur stammt aus Teheran. Seine Familie soll nachkommen, sobald der positive Asylbescheid vorliegt. "Meine aktuelle Lebenssituation ist, wie sie ist. Aber jetzt ist das mein Zuhause, zumindest für die nächsten Wochen und Monate. Und in einem Zuhause soll man es schön haben."

Ortswechsel. In Wien-Erdberg stehen junge Männer mit Kochlöffel in der Hand rund um einen frei stehenden Küchenblock aus knallgelben Schalungstafeln. Das Materialsponsoring des Marktführers Doka ist evident. Der Do-it-yourself-Aspekt der durchaus schön proportionierten Möbel ebenso.

"Die Idee war, keine Stangenwaren aus dem Katalog oder dem Möbelmarkt zu kaufen, sondern die Bewohnerinnen und Bewohner in den Fertigungsprozess miteinzubeziehen", sagt Harald Gründl von Eoos. "Daher haben wir direkt im Haus eine Möbelwerkstatt aufgebaut, in der die Bewohner nun selbst ihre Hocker, Stühle, Tische und Küchenmöbel bauen."

Bislang wurden in Erdberg drei Küchen sowie einige Hundert Möbelstücke für die privaten Wohn- und Schlafzimmer hergestellt. Bis Jahresende soll das Portfolio auf insgesamt 30 Küchen aufgestockt werden. Außerdem soll das 21.000 Quadratmeter große und für insgesamt 600 Bewohner dimensionierte Flüchtlingsheim – die Mietverträge laufen bis 2030 – bis Jahresende baulich adaptiert werden.

Mobile Wohnmodule

Der dritte und letzte Biennale-Streich findet sich auf dem ehemaligen Siemens-Areal in Favoriten. Während ein Teil des Gebäudes bereits vom AMS für Schulungszwecke genutzt wird, entsteht auf zwei Etagen ein Wohnheim für Flüchtlinge und Studierende. Die Kombination ist neu. The Next Enterprise entwarf mobile Raummodule, die auf wenigen Quadratmetern sämtliche Funktionen des privaten Wohnens vereinen. Kommende Woche startet die Besiedelung.

Der heurige österreichische Biennale-Beitrag ist ungewöhnlich und setzt auf einem verhältnismäßig tiefen Level an. Mit Verlaub, das architektonische Niveau war schon mal höher. Mit Schirmen, Schalungstafeln und klappbaren Schrankbetten wird man keinen Pritzker-Preis gewinnen können. Aber darum geht es nicht. Das ist nicht der Punkt. Es geht um ein Bekenntnis zur Softwarequalität, zur Entdeckung und Entwicklung der sozialen Komponente.

"Gerade in schwierigen Lebenslagen wie etwa in Zeiten der Flucht und Neuorientierung ist es wichtig, den Menschen Handlungsspielräume für kulturelle Codes und kollektive Rituale zu eröffnen", sagt die deutsche Soziologin Yana Milev. "Dazu zählen Religion, Musik, Tauschgeschäfte, Dienstleistungen sowie Zugang zu digitalen Kommunikationsmedien. Die Pflege der Kultur, die Aufrechterhaltung eines gewissen Alltags macht die Menschen psychisch immun. Und sie sorgt dafür, dass die Menschen nach ein paar Wochen nicht durchdrehen und sich nicht gegenseitig umbringen."

Biennale als Zugpferd

Das Konzept scheint aufzugehen. "Privatsphäre ist wichtig, für jeden Einzelnen von uns, und umso mehr in heiklen, prekären Situationen", sagt Fayad Mulla-Khalil, Leiter des Notquartiers Pfeiffergasse, der Mann mit dem WLAN. "Die Biennale war ein gutes und wichtiges Zugpferd, um genau darauf auf einer breiten medialen Ebene aufmerksam zu machen. Es gibt ein riesiges Interesse. Wie oft kommt es schon vor, dass Journalisten aus aller Welt nach Wien kommen, um sich ein altes Bürohaus mit Sonnenschirmen aus dem Baumarkt anzusehen?" (Wojciech Czaja, Album, 30.7.2016)