Die zweitlängste Mauer der Erde wurde in den 1980er-Jahren erbaut und ist im Gegensatz zum Rekordhalter in China keine Touristenattraktion. Mit rund 2.700 Kilometern Länge ist sie zwölfmal länger als die Berliner Mauer damals und dient ebenso zur Trennung der Menschen. Die marokkanische Mauer oder "Berm" führt durch die Wüste und durch das Staatsgebiet der Westsahara, der "letzten Kolonie Afrikas". Gesäumt von Millionen Landminen, markiert sie die Trennung zwischen dem von Marokko besetzten Gebiet und jenem, das von der Befreiungsfront des Landes – der Polisario – geführt wird.

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Ein Teil der Mauer, die durch das Gebiet der Westsahara führt.
Screenshot: Google Maps

Marokkos Anspruch

Die meisten der 570.800 Sahrauis (Bewohner der Westsahara; die Schätzung stammt aus dem Jahr 2013, Anm.) haben ihr Heimatland niemals gesehen. Der Konflikt um ihren souveränen Staat dauert bereits mehr als 40 Jahre. Nachdem sich die ehemaligen Kolonialherren aus Spanien im Jahr 1975 zurückgezogen hatten, meldete Marokko Besitzansprüche an: Das Gebiet gehöre historisch zum Königreich. Doch die Vereinten Nationen wiesen noch im selben Jahr die Ansprüche zurück und erkannten das Selbstbestimmungsrecht der Sahrauis an.

Trotzdem marschierte Marokko gegen Ende 1975 mit seiner Armee ein, siedelte 350.000 Marokkaner in der Westsahara an und blieb bis zum heutigen Tag. 16 Jahre Krieg zwischen den Besatzern und der Polisario endeten 1991 in einer Waffenruhe, die von den Vereinten Nationen vermittelt worden war. Ein Jahr darauf wurde eine UN-Mission für ein Unabhängigkeitsreferendum und die Überwachung der Waffenruhe namens Minurso installiert, doch eine Abstimmung hat bis dato nicht stattgefunden.

Der Grund: "Es gab eine Blockade bei der Übereinkunft über die Stimmberechtigten", sagt Eric Goldstein, Experte von Human Rights Watch für die Westsahara: "Marokko brachte zehntausende Berufungen gegen das Wählerverzeichnis ein, das von den Vereinten Nationen erstellt worden war." Das geschah acht Jahre nach dem Beginn der Planungen zu einer Abstimmung. Die Wählerregister verschwanden daraufhin in Stahlkisten in Genf und wurden bis heute nicht hervorgeholt.

Die Grenzen der Westsahara.

Keine Unabhängigkeitsoption

2006 kam schließlich der Vorschlag Marokkos, ein Referendum abzuhalten – allerdings ohne die Möglichkeit einer Unabhängigkeit, sondern nur der einer Autonomie unter marokkanischer Hoheit. "Inakzeptabel" nennt das Francesco Bastagli, der von August 2005 bis August 2006 der UN-Sondergesandte für die Westsahara war: "Man kann nicht das Wort 'Unabhängigkeit' aus solch einem Referendum streichen."

Das Staatsgebiet der Westsahara wird immerhin von 80 Ländern weltweit anerkannt, das Land selbst ist vollwertiges Mitglied der Afrikanischen Union. Marokko war dagegen aufgrund dieser Anerkennung der Union nicht beigetreten – obwohl es in den vergangenen Wochen diesbezüglich wieder Annäherung vonseiten des Königreichs gibt.

Der langjährige Konflikt hinterließ tiefe Gräben zwischen den Parteien. Auf der einen Seite die Vereinten Nationen und vor allem Algerien, die die Befreiungsarmee Polisario und die Unabhängigkeit unterstützen, und auf der anderen Seite Marokko, das vor allem durch Frankreich im UN-Sicherheitsrat unterstützt wird. Marokko wirft der Exilregierung der Westsahara vor, nur eine Marionette ihres Gastgeberlandes Algerien zu sein, wo das größte Flüchtlingslager der Sahrauis steht. Im Gegensatz dazu stehen die Vorwürfe der Polisario bezüglich Menschenrechtsverletzungen gegen Sahrauis, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung nicht durchsetzen dürfen, ohne mit Haftstrafen rechnen zu müssen. Mehr als 70 Sahrauis befinden sich in marokkanischer Haft – wegen friedlicher Proteste.

Eine Sahraui-Frau nahe eines Flüchtlingslagers bei Tindouf in Algerien.
Foto: APA/AFP/FAROUK BATICHE

Phosphat und Fische

Und dann wären da noch die wirtschaftlichen Interessen, die Marokko in Bezug auf die Westsahara: die großen Phosphatvorkommen und die reichen Fischereigründe vor der Küste. Ein Fischereideal zwischen der Europäischen Union und Marokko war Ende 2015 vom EU-Gericht (der zweithöchsten Instanz der europäischen Gerichtsbarkeit) annulliert worden, da er die Gebiete der Westsahara miteinschloss. Besatzungsmächte dürfen sich nach internationalem Recht aber nicht an den Ressourcen der besetzten Länder bedienen.

Uneinigkeit gibt es auch in der Frage der Anzahl der betroffenen Sahraui-Flüchtlinge. Das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) spricht von 90.000 Flüchtlingen, die in Algerien leben. Das Gastgeberland selbst sagt, dass es 165.000 Geflohene beherbergt. In Marokko leben unterschiedlichen Schätzungen zufolge 90.000 bis 221.00 Sahrauis, in Spanien zwischen 3.000 und 12.000, und in Mauretanien befinden sich rund 26.000 Flüchtlinge. 100.000 bis 150.000 leben in der besetzten Zone – gemeinsam mit 160.000 marokkanischen Polizisten und Soldaten.

Doch auch wenn die exakten Zahlen nicht bekannt sind, steht für die Menschenrechtsorganisationen fest, dass die Flüchtlinge mehr humanitäre Hilfe benötigen. "Die Sahrauis leben seit Jahrzehnten ohne Hoffnung für ihre Zukunft", sagt Richard Skretteberg vom Norwegian Refugee Council. Die Menschen können laut ihm nur zehn Prozent ihrer benötigten Nahrung in der Wüstenregion anbauen. Eric Goldstein von Human Rights Watch fügt hinzu: "Die Bevölkerung ist stark von internationalen Spenden abhängig. Sie lebt unter widrigsten Bedingungen."

Blick aus dem Flugzeug auf das Staatsgebiet der Westsahara.
Foto: APA/AFP/FAROUK BATICHE

Aussichtslosigkeit der Menschen

Davon weiß auch Aziza Brahim zu berichten, eine Sahraui-Musikerin, die im Flüchtlingslager zur Welt kam: "Als ich ein Kind war, dachte ich, dass die Flüchtlingslager mein Land sind", sagte sie im Interview mit der afrikanischen Medienplattform "Okayafrica". Erst später habe sie die Situation verstanden und realisiert, dass sie noch nie in ihrem Heimatland gewesen ist. Auch wenn einige Sahrauis bei Marokko bleiben wollen, unterstützt die Mehrheit die Unabhängigkeitsbestrebungen der Polisario.

Die Aussichtslosigkeit sah Goldstein auch bei einem Besuch im Flüchtlingslager bei Tindouf in Algerien: "Unser Taxifahrer war ein Sahraui. Er sprach fließend Spanisch und erzählt mir von seiner Studienzeit in Kuba, das viele Solidaritätprogramme mit der Polisario unterhält. Seine Studienrichtung: Meeresbiologie." Goldstein war überrascht, in der ausgedörrten Wüstenlandschaft einen Meeresbiologen kennenzulernen, doch beschrieb es für ihn nur die Hoffnung der politischen Führung: "Man dachte sich vor zwanzig Jahren noch, dass man in einem unabhängigen Staat mit langgestreckter Küste auch Meeresbiologen braucht." Aber die Hoffnung würde schwinden.

"Die Situation der Westsahara ist das Ergebnis des Versagens der Vereinten Nationen", so Bastagli, der aus Protest gegen die verfahrene Lage seinen Posten als UN-Sondergesandter zurückgelegt hat: "Es gibt keinen Funken Zweifel daran, dass die Westsahara berechtigt ist, über ihre Unabhängigkeit abzustimmen." Doch niemand habe ein ernsthaftes Interesse, die Lage der Sahrauis zu ändern. Ob es noch während seiner Lebenszeit eine Unabhängigkeit der Westsahara geben wird? "Ich will am Leben bleiben, doch ich bin nicht sehr optimistisch", so Bastagli. (Bianca Blei, 16.8.2016)