In der Nacht des Putschversuchs Mitte Juli demonstrierten rund 50 Menschen in Sarajevo ihre Unterstützung für den türkischen Präsidenten Erdoğan. Dieser macht den Prediger Fethullah Gülen für den Coup verantwortlich, Bildungseinrichtungen der Organisation Bosna Sema, die der Gülen-Bewegung zugerechnet werden, kommen nun immer mehr unter Druck.

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"Die ganze Menschheit muss gegen die Terrororganisation Feto kämpfen", verkündet das türkische Kulturzentrum Yunus Emre in Sarajevo. Feto – so wird die Hizmet-Bewegung des Predigers Fethullah Gülen von Gegnern genannt – vermittle "kranke" Ideen und sei eine Bedrohung für alle Länder, in denen sie tätig sei, meldete auch der lokale Ableger der türkischen Organisation für Entwicklungszusammenarbeit, Tika. Ähnlich klang der Chef der größten bosniakischen Partei SDA und einer der drei Präsidenten Bosnien-Herzegowinas, Bakir Izetbegović. Er sagte bereits am 16. Juli, dass die Türkei "die Reihen säubern" werde, weil sich gezeigt habe, "woher die Gefahr kommt und woher dieser kranke Teil der türkischen Armee und des Staates" sei.

Interessanterweise hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan nur ein paar Tage vor dem Putschversuch eine einheitliche Definition von "Terror" im internationalen Recht gefordert. Wenige Tage später scheint klar zu sein, wer nach seiner Definition der größte Terrorpate ist: Feto. Und auf dem Balkan folgen ihm einige.

Erginay: Staatliche Institutionen werden infiltriert

Der türkische Botschafter in Bosnien-Herzegowina, Cihad Erginay, rief die bosnische Regierung dazu auf, gegen die lokalen Bildungseinrichtungen der Gülen-Bewegung vorzugehen, und bezeichnete diese als "Terrororganisationen". Er behauptete, dass die Hizmet-Bewegung staatliche Institutionen infiltrieren würde. "Diese Organisation bedroht nicht nur die Türkei", forderte er Gehorsam ein. Und dieser folgte seitens der SDA. Salmir Kaplan, ein Parlamentarier im Landesteil Föderation, meinte, dass man "diese Schulen" nicht brauche. Am besten, man würde sie schließen.

Die 14 Bildungseinrichtungen der Organisation Bosna Sema, die der Gülen-Bewegung zugerechnet werden, unterliegen jedoch bosnischem Recht. In einer Presseaussendung gleich nach dem Putsch teilte Bosna Sema mit, wie geschockt man wegen des Putschversuches sei, und unterstrich die "volle Unterstützung" für die Türkei und den Kampf gegen den Terror.

Kein Druck von bosnischen Behörden

Orhan Hadžagić von Bosna Sema sagte dem STANDARD, dass es seitens bosnischer Behörden keine Versuche gebe, die Schulen zu schließen. Es gebe noch nicht einmal Anrufe. Der einzige Druck komme aus der Türkei und von der Nachrichtenagentur Anatolia. Eltern hätten bereits an den türkischen Botschafter geschrieben und ihre Sorge mitgeteilt, dass die Probleme der Türkei nach Bosnien-Herzegowina gebracht würden. Hadžagić: "Wir haben keinerlei Druck von einer lokalen Behörde oder einer Partei."

In Serbien hat der Druck der türkischen Regierung offensichtlich gewirkt. So hat die Stadtverwaltung von Novi Pazar auf ihrer Homepage der Türkei ihre volle Unterstützung zugesichert, "die demokratische Ordnung" zu verteidigen. Novi Pazar ist das Zentrum der Region Sandžak, in der mehrheitlich Bosniaken leben. Der Sandžak ist religiös und konservativ geprägt. Die Stadtverwaltung von Novi Pazar gab zudem bekannt, dass die "brüderlichen Beziehungen" mit der Türkei Vorrang hätten und man der "terroristischen Organisation" Gülens keine "institutionelle, logistische oder andere Unterstützung" gewähren werde. Man werde die Bürger warnen, gegenüber der Gülen-Bewegung vorsichtig zu sein. Der Arm der türkischen Regierung reicht offenbar auf den Balkan.

Türkische Bildungseinrichtungen hatten guten Ruf

Es gab eine Zeit – vor ungefähr zehn Jahren –, da galten die türkischen Schulen und Universitäten als die besten in der Region. Es war geradezu schick, dorthin zu gehen. In den letzten Jahren wurden die Unis von türkischen Studenten besucht, die in ihrer Heimat keine Chance hatten, aufgenommen zu werden. Manche wurden sofort nach ihrem Abschluss von türkischen Unternehmen auf dem Balkan engagiert.

Der Streit zwischen Gülen und Erdoğan spielte auf dem Balkan eine untergeordnete Rolle. Doch dann begann Erdoğan auch die Schulen auf dem Balkan anzugreifen, die der Hizmet-Bewegung zugeordnet werden. So rief er die albanische Regierung bereits im Vorjahr dazu auf, die Bewegung als "Terrororganisation" des Landes zu verweisen. Die türkische Regierung hat auch mit Erfolg die Darstellung des Osmanischen Reichs in den Geschichtsbüchern im Kosovo beeinflusst. Einige Stellen, in denen es um Gewalt der Osmanen ging, wurden geändert oder gestrichen. Seit der Säuberungswelle, die Erdoğan nach dem Putschversuch gestartet hat, wächst der Druck auf die Hizmet-Schulen.

Unterstützung zugesagt

Izetbegović ist von Anfang an auf geradezu devote Weise dem Wording Ankaras gefolgt. "Ich möchte, dass mein Bruder Recep Tayyip Erdoğan und das türkische Volk wissen, dass sie die starke Unterstützung Bosnien-Herzegowinas haben", hatte er gleich nach dem Putschversuch gesagt. Auch der Premier von Albanien, Edi Rama, sagte, er sei "glücklich" über das "brüderliche" türkische Volk und "unseren geschätzten Freund Präsident Erdoğan", dass diese mit "vollem Erfolg" aus einer schwierigen Nacht herausgekommen seien.

Die Balkanstaaten waren ab Mitte des 15. Jahrhunderts bis ins 19. Jahrhundert Teil des Osmanischen Reichs. Die Bezeichnung "Türken" für die Muslime auf dem Balkan wird von diesen als verletzend und abwertend betrachtet und ist auch oft so gemeint. Sie selbst würden sich nicht als Türken bezeichnen. Es gibt allerdings in Mazedonien und im Kosovo eine kleine türkische Minderheit.

Erdoğan als Vertreter der Muslime in der Region

Die Türkei hat in den vergangenen Jahren bei der Renovierung von osmanischen Bauten, insbesondere Brücken und Moscheen, finanzielle und andere Hilfe geleistet. Auf der symbolisch-politischen Ebene wird die Türkei in der Nachfolge der Osmanen in Bosnien-Herzegowina als "Mutterland" für die Bosniaken inszeniert. Erdoğan besucht regelmäßig den Balkan und versteht sich offenbar als Vertreter der Muslime in der Region. In der andauernden Identitäts- und Wirtschaftskrise auf dem Balkan verweisen lokale Politiker gerne auf die "Schutzmächte" hinter ihnen. Für manche Serben ist das Russland, für manche Bosniaken eben die Türkei. Liberale Bosnier und Bürger anderer Staaten in der Region sehen die Identifikation mit Erdoğans Türkei aber mit Misstrauen und Besorgnis.

Izetbegović hat sich in den letzten Jahren mit seinen guten Kontakten zu Erdoğan gerühmt und seine Politik danach ausgerichtet. Bei Veranstaltungen der SDA sind immer wieder türkische Fahnen zu sehen. Izetbegović lässt Erdoğan in der eigenen Wahlwerbung zu Wort kommen und bezeichnet ihn als "seinen Bruder".

Der politische Einfluss der Türkei auf dem Balkan wurde bisher nicht besonders kritisiert, weil etwa der türkische Ex-Premier Ahmet Davutoğlu auf einen Ausgleich der Interessen in der Region bedacht war und auch gute Beziehungen zu Serbien pflegte. Nun besteht aber die Befürchtung, dass sich die Türkei zusehends als nationaler Faktor für die Muslime verstehen könnte. Erdoğan selbst sagte am 16. Juli, dem Tag nach dem Putschversuch, dass Türken, Bosniaken und Armenier eine "Nation" seien. Er meinte damit offensichtlich jene Bosnier, die in der Türkei leben. Doch in Bosnien-Herzegowina wurde seine Aussage teils als Versuch gewertet, die Idee einer "muslimischen Nation" zu betreiben.

Frage nach türkischen Verbindungen

Bei der jährliche Gedenkveranstaltung zum Genozid in Srebrenica legten türkische Staatsbürger eine türkische Flagge auf die Wiese, vor der sie sich feierlich verbeugten. Viele Bosnier fragten sich, was denn die Türkei mit dem Gedenken in Srebrenica zu tun habe. Ähnliches ist schon seit längerer Zeit zu beobachten. Bei der jährlichen Wallfahrt nach Ajvatovica waren ebenfalls türkische Organisationen maßgeblich involviert. Die Bosnier bekamen von ihnen türkische Flaggen in die Hand. Auch die Folklore-Gruppen kamen aus der Türkei. Manche Bosnier stellten die Frage, was denn diese Wallfahrt auf einen bosnischen Hügel mit Erdoğans Türkei zu tun habe.

Wirtschaftlich betrachtet ist der Einfluss der Türkei auf dem Balkan nicht groß. Die Zahlen über die ausländischen Investoren in Bosnien-Herzegowina variieren von Jahr zu Jahr. 2014 war Russland mit 100 Millionen Euro der größte Investor, gefolgt von Österreich mit 88 Millionen, Kuwait landete mit 14 Millionen auf Platz sechs. Laut den Zahlen der bosnischen Zentralbank für das erste Halbjahr 2015 lag Österreich wieder als größter Auslandsinvestor mit 57,2 Millionen Euro vorne, an zweiter Stelle kam Kroatien mit 18,8 Millionen und dann die Türkei mit 15,4 Millionen Euro. In den Jahren 1994 bis 2014 war die Türkei in Bosnien-Herzegowina aber nicht unter den zehn wichtigsten Auslandsinvestoren. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 28.7.2016)