In Lincolnville wehrt man sich immer noch gegen die Deponie und will die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisieren.

Foto: Bernadette Calonego

Mary Desmond hat genug. Die 67-jährige dunkelhäutige Kanadierin aus der Provinz Nova Scotia kämpft vehement gegen ein Unrecht, das der schwarzen Bevölkerung in ihrer Umgebung widerfährt. "Wir haben einen Namen dafür", sagt sie: "Umweltrassismus." Drei Müllhalden wurden in der Gegend gebaut, in der Desmond lebt, alle drei in der Nähe armer Siedlungen von Nachfahren ehemaliger schwarzer Sklaven aus Amerika. In Desmonds kleinem Dorf Lincolnville gibt es gleich zwei Deponien. Die ältere, nun stillgelegte Müllhalde hat nicht einmal eine Basisabdichtung für den Schutz des Grundwassers. Die zweite Deponie von 2006 ist nur einen Kilometer vom Dorf entfernt. Abfall und Giftmüll aus weiten Teilen Nova Scotias werden hier abgeladen.

Die Bewohner von Lincolnville hatten vergeblich dagegen protestiert. Der Bezirk besitze Millionen Hektar Land, sagt Desmond: "Es gab keinen Grund, warum man die Deponie so nahe an unser Dorf hatte bauen müssen."

Studie belegt Missstand

Lincolnville ist nicht allein mit diesem Missstand. Eine Studie der Dahlhousie-Universität in Halifax ermittelte bereits im Jahr 2002, dass 30 Prozent der schwarzen Bürger in Nova Scotia fünf oder weniger Kilometer von einer Deponie entfernt leben. Doch nichts geschah. Jetzt schreibt die kanadische Soziologin Ingrid Waldron ein Buch über den Umweltrassismus in Nova Scotia und Kanada. Mithilfe einer Abgeordneten versucht die Forscherin von der Dalhousie-Universität auch ein Gesetz im Parlament von Nova Scotia einzuführen, das Umweltrassismus verhindern soll. Die Behörden hätten arme, machtlose schwarze und indigene Gemeinden als bevorzugte Standorte für Deponien gewählt, weil sie hier wenig Widerstand zu fürchten hatten, sagt Waldron.

In Nova Scotia hat diese Diskriminierung eine lange Geschichte: Hunderte ehemaliger schwarzer Sklaven ließen sich im 18. Jahrhundert am Rand der Stadt Halifax in einer Siedlung namens Africville nieder. Es ging nicht lange, bis die Gegend Standort einer Deponie für Fäkalien, eines Seuchenspitals, Schlachthauses und einer Müllhalde wurde. In den Sechzigerjahren wurde Africville als "Schandfleck" dem Erdboden gleichgemacht.

Anderen ehemaligen schwarzen Sklaven aus Amerika gab man in Nova Scotia Land, das unfruchtbar und weit weg vom Ozean entfernt war. Damit konnten sie nur knapp überleben. Mark Butler, Direktor des Ecology Action Centre in Halifax, sagt, Lincolnville trage das Umweltrisiko, bekomme aber von den Behörden weder Arbeitsplätze noch Infrastruktur dafür. In Upper Sacksville dagegen, einer vorwiegend weißen, urbanen Siedlung, sei die dortige Deponie geschlossen worden, weil die Gemeinde es verlangte. Bürger habe man finanziell kompensiert und die Deponie für giftige Abwasser abgesichert.

Kein Becken für Abwässer

In Lincolnville dagegen zeigen sich schlimme Folgen: Desmond sagt, Krebs sei weit verbreitet. Sie fragte die Behörden, ob giftige Substanzen aus der alten Deponie ins Grundwasser gelangten. Als sie keine befriedigende Antwort erhielt, trank sie nur noch Wasser aus gekauften Flaschen. Ihr Mann dagegen trank weiter Leitungswasser. "Er starb vor drei Jahren an Darm- und Lungenkrebs, obwohl er kein Raucher war", sagt Desmond.

Mark Butler teilt ihre Befürchtungen. "Giftstoffe dringen ins Grundwasser", sagt er. Seine Organisation ist der Auffassung, dass die Behörden das Gesetz missachteten, weil sie kein Sammelbecken für giftige Abwasser installierten.

Für Desmond ist nicht nur die Gesundheit, sondern auch das Erbe der historischen Dörfer von Afrokanadiern bedroht. Früher lebten in Lincolnville dreihundert Familien, jetzt sind es noch dreißig. "Wir sind lange genug bestraft worden", sagt sie. "Man nimmt uns langsam unsere Gemeinden weg. Die Menschen verlassen Lincolnville, weil sich nichts ändert." Das Gesetz gegen Umweltrassismus, das Änderung schaffen soll, ist vorerst im parlamentarischen Betrieb steckengeblieben. Aber Desmond hofft, dass die Kanadier auf diese Diskriminierung aufmerksam werden. "Heute finden immer mehr Leute: Das ist nicht gerecht", sagt sie. (Bernadette Calonego aus Lincolnville, 28.7.2016)