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Suche nach Sinn in einem gefährdeten Universum: J. G. Ballards anspruchsvolle Werke sind frisch und aktuell geblieben.

Foto: Barry Lewis/Corbis

Dürre, Stürme und Überflutungen beherrschen seine postapokalyptischen Welten: James Graham Ballard (1930-2009) ist ein früher Prophet ökologischer Katastrophen gewesen. Als seine Werke seit den 1960er-Jahren in der legendären Phantastischen Bibliothek des Suhrkamp-Verlags herauskamen, waren die lila Bände eher ein Minderheitenprogramm, das unter dem Genre "Science-Fiction für Kenner" lief.

Aber Ballard taucht jetzt zum dritten Mal in der cineastischen Welt auf. Nach der semiautobiografischen Vorlage für Empire of the Sun (Steven Spielberg) und dem verstörenden Crash (David Cronenberg) hat nun die Dystopie High-Rise (Ben Wheatley) die Ebene der massentauglichen Filmproduktion erreicht.

Die Vorlage, ein schmaler Roman, gehört indes nicht zu den besten Arbeiten des britischen Autors. Typisch ist jedoch die surreale Atmosphäre, die Ballard entwirft, wenn er den Zerfall einer brüchigen Zivilisation schildert. Der spielt sich hier in einem geschlossenen Raum ab.

In einem riesigen ultramodernen Hochhaus dividieren sich die Bewohner allmählich auseinander. Zu ebener Erde, in den unteren Etagen, hausen Familien mit Kindern, ganz oben in den noblen Dachgeschoßen die Reichen mit ihren Hunden und Trophäen-Barbies. Dazwischen eine Art Mittelstand aus Kreativen und Akademikern.

Das verrückte Architekturexperiment geht erwartungsgemäß schief. Das Hochhaus implodiert, marodierende Gangs, Vandalismus, territoriale Primatenkämpfe zwischen den Stockwerken legen die auf Autonomie ausgelegte Infrastruktur lahm.

Untergang der Zivilisation

Ballard betrachtet den Zusammenbruch detailversessen aber mit großer Distanz. Die Bewohner wirken trotz aller Destruktivität seltsam lethargisch, und was außerhalb dieses Hochhauses in London passiert ist, wird kaum angedeutet. So bleibt der Roman eher an der Oberfläche, bei der das Design und die Ästhetik des Vermoderns am meisten faszinieren.

Der Untergang einer sich als zivilisiert begreifenden Gesellschaft wird in den meisten von Ballards zahlreichen Kurzgeschichten viel packender als in High-Rise geschildert. Bestimmte Motive – Architektur, Fliegen, postzivilisatorische Welten – kommen in verschiedenen Varianten vor. Die grundlegend pessimistische Gestimmtheit ist einerseits dem Genre inhärent, andererseits durch die Biografie des Autors erklärbar.

Geboren in Schanghai, war Ballard als Kind nach dem Angriff auf Pearl Harbour mit seinen Eltern drei Jahre lang in einem Gefangenenlager für Zivilisten, das die Japaner eingerichtet hatten, interniert. Diese prägenden Gewalterfahrungen in der Jugend erklären wohl zum Teil die pessimistische Ausrichtung seiner Werke, wobei Ballard durchaus auch Sinn für Humor hat und literarischen Experimenten nicht abgeneigt ist.

Viele Science-Fiction-Autoren haben sich im Nachhinein als Propheten erwiesen. Aber Ballard ist da schon ein ganz besonders Kaliber. Zum Beispiel in der poetischen, nekrophilen und surrealen Geschichte Die Zeitgräber (1967), in der Räuber lange nach einer ökologischen Katastrophe alte Begräbnisstätte plündern die auftauchen, wenn sie der Wind vom Sand befreit hat.

Die Räuber suchen allerdings keine Schätze im herkömmlichen Sinne, sondern "Bänder". Die haben die Verstorbenen von sich anfertigen lassen, um damit eine Art Unsterblichkeit zu erlangen. Sie sind elektronisch anwesend, Geister in Grüften.

Das einfache Leben

Ballard konnte noch nichts vom digitalen "Überleben" in sozialen Medien wie Facebook wissen. Eine andere, willkürlich herausgegriffene Geschichte, Die ultimate Stadt, thematisiert einmal mehr das Leben nach dem Zusammenbruch der Welt, wie wir sie kennen. Hier haben Menschen überlebt, die alles besser machen wollen und zu einem "einfachen" Leben ohne Technik zurückgekehrt sind.

Allerdings ist der Held dieser Story ein Hobbypilot, der mit seinem primitiven Fluggerät die Ruinen einer einstigen Megacity ansteuert und dort versucht, diese Stadt wieder zum Leben zu erwecken. Die restriktive Tugendhaftigkeit einer posttechnologischen Gesellschaft mit dem Leitbild der Nachhaltigkeit scheint allzu langweilig zu sein.

Es lohnt sich, Ballard wieder zu lesen. Der Film High-Rise kann ein Anstoß dazu sein. Man ist erstaunt, wie heutig und anspruchsvoll, wie surreal und experimentell seine Werke sind, wie frisch sie wirken, auch wenn das Papier des Taschenbuchs schon leicht braun verfärbt ist und die Schrift ziemlich klein für nicht mehr ganz so junge Augen. (Ingeborg Sperl, Album, 26.7.2016)