Der Putsch vergangene Woche war nicht der erste Versuch einer gewaltsamen Machtübernahme des türkischen Militärs.

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Vergangene Woche versuchten Teile des türkischen Militärs die demokratisch legitimierte – wiewohl zunehmend repressiv agierende – Regierung der Türkei zu stürzen. Der Putschversuch misslang, die mutmaßlichen Drahtzieher wurden inhaftiert und tausende staatliche Bedienstete in Militär, Justiz, Verwaltung und Bildungswesen entlassen oder suspendiert.

Es war nicht der erste Versuch einer gewaltsamen Machtübernahme des türkischen Militärs – Wikipedia führt (versuchte) Putsche in der Türkei sogar als eigene Kategorie. Dennoch waren die Ereignisse von letzter Woche alles andere als erwartbar. Nicht nur, weil viele Beobachter der Meinung waren, Putschversuche in der Türkei gehörten der Vergangenheit an, sondern auch, weil die "Blütezeit" der Staatsstreiche überhaupt schon lange zurückliegt.

Wie die erste Grafik anhand von Daten des Center of Systemic Peace zeigt, gab es in den Sechziger- und Siebzigerjahren weltweit jeweils mehr als einhundert Putschversuche, dazu noch einige geplante Putsche, die unversucht blieben. Etwa die Hälfte der versuchten Putsche war erfolgreich (im Sinne eines Machtwechsels von mindestens einmonatiger Dauer – so die Definition gemäß Datenquelle).

Ab den Achtzigerjahren sinkt die Zahl der (versuchten) Putsche, zwischen 2000 und 2015 gab es überhaupt nur fünfzehn erfolgreiche Staatsstreiche. Aber nicht nur die Zahl der Putschversuche geht im Zeitverlauf deutlich zurück, sondern auch deren Erfolgsquote. Wie die zweite Grafik zeigt, resultierte zwischen 1950 und 1969 noch jeder zweite Putschversuch in einem mindestens einmonatigen Machtwechsel (53 Prozent). In den darauffolgenden Jahrzehnten geht dieser Anteil sukzessive zurück und pendelt sich ab den Neunzigern bei rund einem Viertel ein.

Heutzutage finden also insgesamt weniger Putschversuche statt – und die, die stattfinden, führen ihre Betreiber seltener zum Ziel. Insofern ist der jüngste Putschversuch in der Türkei einerseits ungewöhnlich (weil untypisch für das Jahr 2016), andererseits passt er ins derzeit vorherrschende Muster (weil nicht erfolgreich).

Putsche sind regional recht ungleich verteilt. Wie in der dritten Grafik zu sehen ist, wurde der Löwenanteil der 210 gelungenen Putsche seit 1946 in Afrika durchgeführt (42 Prozent). Etwa ein Viertel entfällt auf Asien (29 Prozent), ebenfalls ein Viertel auf Amerika und die Karibik (24 Prozent). Europa hingegen hat seit 1946 nur neun erfolgreiche Putschversuche erlebt (einschließlich jener in Zypern und der Türkei), was einem Anteil von rund vier Prozent entspricht. Die oben gezeigten rückläufigen Trends sind allerdings in allen Weltgegenden spürbar – wiewohl sie in Afrika etwas später stattgefunden haben.

Interessant ist auch, dass sich aber nicht nur Zahl und Erfolgsquote von Putschen verändert haben. Wie Nikolay Marinov (Yale University) und Hein Goemans (University of Rochester) in dieser Studie zeigen, folgten bis 1990 auf erfolgreiche Putsche nur selten kompetitive Wahlen. Seit 1991 ist dies aber zumeist der Fall. Die Forscher erklären dies damit, dass mit dem Ende des Kalten Krieges viele Entwicklungsländer stärker von westlicher Hilfe abhängig wurden. Somit waren sie stärkerem Demokratisierungsdruck ausgesetzt, was besonders auch nach Putschen zum Tragen kam.

Überhaupt haben die Demokratisierungswellen, die Lateinamerika sowie Teile Asiens und Afrikas in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfasst haben, wohl dazu beigetragen, dass der Putsch als Mittel zum Machtwechsel heute fast schon als bedrohte Spezies gelten kann. Die Ereignisse der vergangenen Woche allerdings sind eine allzu deutliche Erinnerung daran, dass gewaltsame Machtübernahmen auch heute noch vorkommen können. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 20.7.2016)