Der Cellist Nicolas Altstaedt, der in Berlin lebt: "Man spielt nicht vor Leuten, sondern mit ihnen. Im Konzert ist man Teil eines Prozesses, in dem man etwas mit den Zuhörern erlebt. Die Verbindung ist ganz wichtig."

Foto: Balazs Borocz

Wien – Eine Halbscherzfrage, Herr Altstaedt – sind Sie nun der Oberintendant des Burgenlands? Der 1982 in Heidelberg Geborene ist ja Leiter des zurzeit laufenden Kammermusikfestivals in Lockenhaus. Außerdem wird Nicolas Altstaedt der neu positionierten Haydn-Philharmonie vorstehen, die auf Schloss Esterházy residieren wird. Oberintendant also?

Der Cellist findet die Frage gar nicht komisch. "Etablierte Positionen sind uninteressant! Sie bedeuten den künstlerischen Tod. Wenn ich mit einem Orchester wie der Haydn-Philharmonie in Verbindung gerate, ist das ein Abenteuer, das mich als Musiker erweitert. Es ist keine Intendanz, keine feste Stelle", so Altstaedt, der lieber über Voraussetzungen und Aspekte des Musizierens spricht – über Stille etwa.

"Sie darf kein Luxus sein. Ich brauche sie zum Existieren, zur inneren und äußeren Wahrnehmung. Heute läuft überall etwas, im Taxi oder im Hotel; man muss sich fernhalten von zu viel Ablenkung. Hölderlin hat den wunderbaren Satz gesagt: ,Rätsel ist Reinentsprungenes.' Ich versuche mich zu schützen, um rein zu sein, wenn ich Musik spiele." Das Wichtigste sei das stete "Neuschöpfen". Es würde immer darüber geschrieben, "was sich etabliert hat", so Altstaedt. "Aber alles, was sich etabliert, ist in diesem Moment wieder gestorben. Kunst muss immer wieder aufs Neue geschaffen, geboren und erlebt werden." Natürlich mit Kollegen, die einem nahe sind. "Es muss ein grundsätzliches Vertrauen da sein, ohne verbal kommunizieren zu müssen. Es muss so viel Offenheit und Wachsamkeit da sein, dass etwas zugelassen werden kann." Wenn sich bei Proben zeigt, dass "zu viel geredet werden muss, wird es schwierig. Ich versuche, es zu vermeiden. Manchmal genügt ein Wort, um die richtige Stimmung herzustellen. Die tiefen Gespräche finden oft außerhalb der Bühne statt und fließen somit indirekt in Probe ein."

Klarheit und Einheit

Dirigent Nikolaus Harnoncourt allerdings sei eine Ausnahme gewesen, war "einer der wenigen, die bei Proben vermochten, mit Faszination und Ausdruckskraft Musik mit so einer Klarheit zu vermitteln, dass die Musiker zur Einheit zusammenfinden konnten".

Wobei die Einheit auch Zuhörer einschließe: "Man spielt nicht vor Leuten, sondern mit ihnen. Im Konzert ist man Teil eines Prozesses, in dem man etwas mit den Zuhörern erlebt. Die Verbindung ist ganz wichtig." In jedem Fall ist der Zustand auf der Bühne ein spezieller, mithin ekstatischer: "Auf der Bühne wird man zum Medium der Musik, Ekstase kann auch eine meditative Form annehmen. Der Bühnenmoment ist einer der großen Freiheit. Im Idealzustand des Musizierens nimmt man sich selber gar nicht wahr, da man nicht mehr Subjekt ist, sondern Teil von etwas Größerem geworden ist."

Um das Ideal zu erreichen, müsse Altstaedt "sich schützen, es ist ein fragiler Zustand. Musizieren aber ist der selbstloseste Zustand, den ich erfahren habe, da man sich selber überwinden muss, um sich hingeben zu können." Inspiration durch Kollegen? Cecilia Bartoli sei eine Musikerin, "die einen alles andere vergessen lässt. Es gibt nur wenige, die so vereinnahmen und inspirieren. Bei Gidon Kremer ergeht es mir ebenso."

Aber es müssen nicht unbedingt Musiker sein, so Altstaedt. "Ein Gemälde, eine architektonische Konstruktion oder wenige Verse können einen ewig beschäftigen. Alles, was ein Enigma in sich birgt, führt zu Kreativität. Man ist täglich umgeben von Inspiration, man muss nur wählen, womit man sich umgibt, dann sind die Möglichkeiten unendlich." Wer es nicht nach Lockenhaus schafft (bis 16. 7.), prüft die Worte anhand aktueller Altstaedt-CDs. Bei Channel Classics ist er etwa mit Werken von Schostakowitsch und Weinberg zu hören. (Ljubisa Tosic, 14.7.2016)