Negative Campaigning ist eine politische Strategie, bei der statt der eigenen Stärken die Kritik am politischen Gegner im Vordergrund steht. Eine Variante davon ist Dirty Campaigning, bei dem die Angriffe stark ins Persönliche abgleiten.
Was aber hat Negative Campaigning für Auswirkungen? Eines der meistignorierten Resultate der politikwissenschaftlichen Forschung (zumindest jener aus den USA) ist die Erkenntnis, dass Negative Campaigning im Großen und Ganzen keinen Nutzen bringt. In der bis dato umfassendsten Metaanalyse schreiben die Autoren: "[T]he research literature does not bear out the proposition that negative political campaigns ‘work’ in shifting votes toward those who wage them". Der Grund dafür ist, dass Attacken zwar den Angegriffenen schaden, genauso aber negativ auf ihre Urheber zurückfallen.
Während sich die meisten Untersuchungen von Negative Campaigning auf US-amerikanische Wahlkämpfe konzentrieren, gibt es mittlerweile auch empirische Studien zu europäischen Ländern, darunter auch Österreich. Im Rahmen der Austrian National Election Study (AUTNES) wurden tausende Presseaussendungen aus den Nationalratswahlkämpfen 2002, 2006, 2008 und 2013 analysiert (die daraus resultierenden Publikationen findet man etwa hier, hier und hier). Anhand des Titels wurde jeweils codiert, ob eine Aussendung andere Parteien oder Politiker erwähnt und diese negativ konnotiert. Diese Vorgangsweise schließt sachliche Kritik genauso mit ein wie persönliche Attacken.
Operational ist es nämlich sehr schwierig, sachliche von "schmutzigen" Angriffen zu trennen, daher verwenden die meisten empirischen Analysen diese weitere Definition (eine interessante Ausnahme findet man hier). Wo die Grenze zwischen gerechtfertigter Kritik und Angriffen unter der Gürtellinie verläuft, ist kaum reliabel zu messen.
Die erste Grafik zeigt, welcher Anteil an Presseaussendungen für die einzelnen Parteien in den vier Wahlkampagnen auf Negative Campaigning entfällt (die Neos hatten 2013 eine so geringe Anzahl an Aussendungen, dass sie nicht in die Analyse aufgenommen wurden). Dabei fällt eines sofort auf: In allen Wahlkämpfen betreiben alle Parteien Negative Campaigning in beträchtlichem Ausmaß. Im Mittel sind 40 Prozent aller Aussendungen negativ. Einige Ausreißer nach unten stechen hervor. Im Jahr 2013 etwa die SPÖ, die Grünen und das Team Stronach, im Jahr 2008 ebenfalls die SPÖ ("Genug gestritten" ließ Werner Faymann damals immerhin plakatieren).
Während also zwischen Parteien und Wahljahren keine großen Unterschiede auftreten, gibt es innerhalb der Parteien eine ganz klare Arbeitsteilung. Attacken sind Angelegenheit der Klubobleute und Generalsekretäre, während sich Personen mit hohen öffentlichen Ämtern eher zurückhalten (die Kategorien in der Abbildung überlappen teilweise).
Von den Mitgliedern der Regierung vernimmt man relativ selten Angriffe auf den politischen Gegner, am wenigsten von den amtierenden Bundeskanzlern. Auch die Nationalratspräsidenten weisen unterdurchschnittliche Negativitätsraten auf. Bei den Parteiobleuten treten starke Differenzen zwischen Regierung und Opposition auf. Letztere über naturgemäß viel Kritik an der Regierung, was automatisch zu einem höheren Negativitätslevel führt.
Zum Schluss lohnt sich noch ein Blick auf die Variable Geschlecht. Männer greifen auf Attacken etwas öfter zurück als Frauen (42 vs. 38 Prozent der Aussendungen) – was üblichen Geschlechterstereotypen entspricht (und auch nach Kontrolle für die in der zweiten Abbildung gezeigten Funktionen gilt).
Interessant ist aber auch, wenn man die Attacken als Grundgesamtheit heranzieht und dann für Frauen und Männer die Adressaten nach Geschlecht aufschlüsselt. Dabei zeigt sich eine leichte Tendenz zu Angriffen auf das jeweils eigene Geschlecht. Männer richten 47 Prozent ihrer Angriffe an männliche Kollegen, Frauen nur 40 Prozent. Demgegenüber neigen Frauen etwas stärker dazu, weibliche Adressaten zu wählen (12 Prozent) als Männer (10 Prozent). Die Tatsache, dass Männer mehr als viermal so oft attackiert werden wie Frauen (45 vs. 11 Prozent aller negativen Aussendungen) hängt wohl vor allem damit zusammen, dass Frauen im politischen System insgesamt unterrepräsentiert sind – und besonders in höheren Funktionen, deren Inhaber bevorzugt das Ziel von Angriffen des politischen Gegners werden.
Die Daten zeigen also, dass Negative Campaigning (zumindest gemäß der breiten Definition, die in den Sozialwissenschaften für gewöhnlich verwendet wird) ein weit verbreitetes Instrument ist, von dem alle politischen Parteien Gebrauch machen. So lange Angriffe einigermaßen auf der Sachebene bleiben, ist gegen eine harte Auseinandersetzung auch kaum etwas einzuwenden. Im Gegenteil: Sie kann am Ende dazu beitragen, politische Standpunkte für die Wähler deutlicher zu machen und damit für den Einzelnen zu einer besser fundierten Wahlentscheidung führen. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 13.7.2016)