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Unmittelbar nach der formellen Nominierung als Regierungs- und Parteichefin trat Theresa May am Dienstag vor Pressevertreter in London.

Foto: Reuters / Neil Hall

Die Kabinettssitzung stand ganz im Zeichen von David Camerons Abschiedsrede. Anschließend saß der Hausherr von Downing Street 10 am Dienstagvormittag noch ein wenig mit der nächsten Bewohnerin zusammen, bevor Theresa May durch die berühmte schwarze Tür kam und gleich einmal in die falsche Richtung ging: dorthin, wo sonst immer ihr Ministerwagen steht. Diesmal ist die Limousine aber anders geparkt. Also macht die konservative Noch-Innenministerin kehrt, lächelt verlegen in die Richtung der Fotografen, besteigt ihr Auto und fährt davon.

Symbolhafter als durch diese Szene lässt sich kaum beschreiben, wie verwirrend-schwindelerregend Großbritanniens Politik in diesem Sommer ist, jeden Tag aufs Neue. Gut zwei Wochen nach dem Brexit-Votum liegen alle prominenten EU-Feinde im Staub: freiwillig zurückgetreten wie Nigel Farage von Ukip, über ihre eigenen Ambitionen gestolpert wie die Tories Andrea Leadsom, Boris Johnson und Michael Gove.

"Brexit bedeutet Brexit"

Am Mittwoch wird eine zögerliche Befürworterin des EU-Verbleibs das Amt der Premierministerin übernehmen. Aber May (59) lässt bei keiner Gelegenheit den Satz aus, der ihre skeptische Partei überzeugen und das Land an die neue Realität gewöhnen soll: "Brexit bedeutet Brexit." Ob die schwierige Loslösung aus 43 Jahren EU-Mitgliedschaft ein Erfolg wird oder nicht, diese Frage wird ihre Amtszeit definieren.

Nach der kleinen Verwirrung in der Downing Street kehrte die Politikerin zwar noch einmal in ihr Ministerium zurück, wo sie vor allem mit der Zusammenstellung ihres ersten Kabinetts beschäftigt war. Neben der Frage nach den Kernressorts wird vor allem spannend, wen May mit den Brexit-Verhandlungen betraut. Viel deutet auf ihren bisherigen Kabinettskollegen Chris Grayling oder Ex-Europastaatssekretär David Davis hin. Beide setzten sich für den EU-Austritt ein, bedienten sich aber nicht einer Lügenpropaganda à la Johnson und Gove.

Ehe der Rückzug ihrer letzten Rivalin Leadsom am Montagnachmittag May endgültig den Weg ebnete, hatte die Konservative schon andere Schwerpunkte ihrer Amtszeit skizziert. Die Rede war von einer "positiven Vision für unser Land", in dem nicht nur wenige Privilegierte, sondern alle gleichermaßen vorankommen. Damit setzt sich die Tochter eines anglikanischen Geistlichen symbolhaft ab von Cameron, dem Absolventen des Elite-Internats Eton aus gut situierter Familie.

May braucht die Mitte

Zudem signalisiert May jenen klassenkämpferisch gestimmten Brexit-Wählern Entgegenkommen, deren Nein weniger der EU als der brutalen Sparpolitik galt. Deshalb spricht May von der Begrenzung zu hoher Vorstandsgehälter und von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat großer Unternehmen.

Das bleibt einstweilen noch sehr vage, aber die Richtung ist klar: May will den überwiegend deutlich rechts angesiedelten Parteimitgliedern nicht entgegenkommen. Ihnen schrieb die damalige Generalsekretärin schon 2002 ins Stammbuch, die Konservativen hätten in der Bevölkerung das Image der "fiesen Partei": zerstritten, überaltert, frauenfeindlich, rückwärtsgewandt. Sechs Regierungsjahre unter schwierigen Bedingungen haben die Sichtweise nicht unbedingt verbessert.

May sucht ihr Heil in der Mitte, was wegen des britischen Mehrheitswahlrechts sinnvoll ist – und ein Vakuum füllt, das der Linksdrall der oppositionellen Labour Party hinterlassen hat. Deren bitterer Streit um den glücklosen Vorsitzenden Jeremy Corbyn kontrastiert dramatisch mit der neu gefundenen Einigkeit der Tories, die sich nun um ihre neue Anführerin scharen.

Corbyn erzielte am Dienstagabend bei einer parteiinternen Abstimmung zwar einen kleinen Zwischenerfolg, doch der Machtkampf mit Angela Eagle hat eben erst begonnen – mit düsteren Aussichten für den Parteichef.

Doch das Land dürstet nach kühler Kompetenz. Diese verkörpert May wie niemand sonst. Und bald muss sie auch ihren Dienstwagen nicht mehr suchen: Die Premierministerin wird künftig selbstverständlich direkt vor der schwarzen Türe einsteigen. (Sebastian Borger aus London, 12.7.2016)