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Ob die Herren gut versichert sind oder die Aussicht über den Dächer Madrids eine zu große Verlockung war, ist nicht überliefert. Die Siesta ist für viele Spanier eine geliebte Tradition.

Foto: AP/Alberto Di Lolli

Einer typisch-spanischen Institution, der Siesta, droht das Aus. Immer mehr Spanier erachten die knapp dreistündige Zwangsmittagspause zwischen 14.00 und 17.00 Uhr als Belastung. Sie liebäugeln, wie Interimspremier Mariano Rajoy (Partido Popular), mit der Anpassung der geteilten und dadurch überlangen Arbeitstage an zentraleuropäische Standards.

Rajoy war es, der unlängst das "Adiós" zur Siesta auf seine Wahlkampf-Agenda setzte. Zahlreiche Wirtschaftswissenschafter und Bürgerinitiativen hatten zuvor schon wiederholt gefordert, Schluss mit der alten Tradition zu machen.

Kurze Nickerchen wirken sich zwar gemäß zahlreicher medizinischer Studien positiv auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit aus: "20 bis 30 Minuten Mittagsschlaf erhöhen Aufmerksamkeit und Konzentration für bis zu vier darauffolgende Stunden – und die Lernfähigkeit um etwa zehn Prozent", sagt Matthew Walker, Psychologe an der US-Universität Berkeley. Aktuell bei Hitzewellen um und über 40 Grad Celsius in Spanien, mag die Siesta für Geschäfte sinnhaft sein. Kaum Einheimische, wenn überhaupt einige wagemutige Touristen, begeben sich über die heißesten Stunden des Tages derzeit auf Einkaufstour.

Überfälliger Schritt

Dennoch: "Die Abschaffung der Siesta ist längst überfällig", betont der renommierte Ökonom Santiago Carbó von der Bangor University im STANDARD -Gespräch. "Spaniens Priorität muss die Steigerung der Produktivität sein."

Auch wenn es kulturell Widerstände gebe, habe sich das Arbeitszeitmodell überholt. "Die Siesta ist etwas für die Ferien oder das Wochenende". Deren evidente Nachteile spiegeln sich, gemäß der Kritiker, neben der schwächeren Produktivität vor allem in der mangelnden Vereinbarkeit von Beruf und Familie wider.

Da das Mittagsschläfchen den Feierabend auf 20.30 oder gar 21.00 Uhr verschiebt, beginnt die Nachtruhe der meisten Spanier mitunter erst weit nach Mitternacht. Die Ruhephase dauert damit zu kurz. Für Pendler ist die lange Pause ohnehin ein Albtraum, lohnt sich doch das Heimfahren während der Siesta nicht.

In Katalonien ist man schon weiter. Eine aktuell debattierte Gesetzesreform soll die "Europäisierung der Arbeitstage" zur Steigerung der Lebensqualität spätestens ab September 2018 verankern. Dann soll die Mittagspause um Punkt 12.00 Uhr nur noch 30 Minuten dauern. Die Frühstückspause, aktuell 20 Minuten, um 10.00 oder 10.30 Uhr, wird abgeschafft. Schulunterricht und die Ladenöffnungszeiten werden von 8.00 bis 16.00 Uhr beziehungsweis 7.00 bis 20.00 Uhr geregelt. "Solch ein Wandel verlangt eine Veränderung der kulturellen Wahrnehmung von Zeit", sagt Fabián Mohedano, Mitglied des Beirats für die Geschäftszeitenreform.

Francos Freundschaftsdienst

Rajoy plant zudem eine Zeitzonen-Änderung auf Greenwich-Zeit. Wie Nachbar Portugal und die Kanaren tickte ganz Spanien noch bis 17. März 1940 nach dieser. Die Umstellung auf Mitteleuropäische Zeit war einer von vielen Freundschaftsdiensten, die Ex-Diktator Francisco Franco (1892-1975) als Gegenleistung für die Unterstützung von Nazi-Deutschland im Spanischen Bürgerkrieg erbrachte. Dem Brexit zum Trotz würde eine Zeitzonenänderung laut Carbó energietechnische Ersparnisse bringen. (Jan Marot aus Granada, 12.7.2016)