Die "Immaculata Oballe" malte El Greco 1613.

Foto: Parroquia de San Nicolas de Bari, Toledo

Die Macht der Malerei sieht man in zahlreichen Porträts von mächtigen Menschen. Aber noch stärker zeigt sie sich dort, wo sie die Geschichte umschreiben kann. El Greco malte Ende des 16. Jahrhunderts einen Christus am Kreuz mit zwei Stiftern. Zu Füßen des sterbenden Jesus, wo nach den Berichten der Evangelien eigentlich nur Frauen standen (und eventuell der mysteriöse Lieblingsjünger), stehen nun zwei Männer, die es sich leisten konnten, sich ins Bild zu drängen. Zwei Auftraggeber, einer ein Kleriker, der andere ein Laie adeligen Standes. Die Blicke sind alle zum Himmel gerichtet, aber de facto sehen wir ein sehr irdisches Geschehen: Die Kreuzigung wird zu einem Wanderspektakel, und die Malerei versetzt das zentrale Ereignis am Ursprung der christlichen Religion in die jeweils aktuelle Gegenwart.

Von Spanien im 17. Jahrhundert heißt es heute, es wäre damals ein goldenes Zeitalter gewesen. Für die Malerei gilt dies in jedem Fall, und so trägt die große Schau in der Berliner Gemäldegalerie zum Thema diesen Titel: El Siglo de Oro. Das goldene Zeitalter ist aber auch das Zeitalter eines prägenden Malers, dem das Kunsthistorische Museum in Wien vor zwei Jahren eine denkwürdige monografische Ausstellung widmete, zur der man nun einen erweiterten Kontext bekommt. Die Ära Velázquez lautet der deutsche Untertitel der Berliner Schau.

Am Eingang zu dieser Ära steht mehrfach El Greco, der in Toledo tätig war und dessen monumentale Immaculata man sofort sieht, wenn man die Räume in der Gemäldegalerie betritt. Auch hier haben wir es mit einer Verpflanzung der biblischen Geschichte zu tun, was sich nach oben hin zu einer überzeitlichen Transzendenz öffnet, wurzelt unten in einem konkreten Stadtbild. Bis weit ins 20. Jahrhundert hing die Immaculata in einer Privatkapelle, auch das ein Zeichen für die Funktionen, die Kunst und Malerei in jener Ära hatten: Sie diente den Mächtigen zur Kontemplation, aber auch zur Präsentation.

Verlässliche Auftraggeber

Und das unter teilweise prekären Umständen: Spanien profitierte damals zwar enorm von den Reichtümern, die aus den Kolonien kamen, aber unter Philipp II. erklärte sich der Staat viermal als zahlungsunfähig. Die Kirche und der Adel waren aber verlässliche Auftraggeber – so blühte die Porträtkunst. Einen besonderen Fall stellt das Bild dar, das Velázquez von Francisco Pacheco malte: Dieser vor allem als Theoretiker bedeutende Kollege war sein Lehrer und Schwiegervater, er erscheint hier auch als eine Autorität.

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Diego Velázquez: Francisco Pacheco, ca. 1620.
Foto: Photographic Archive, Museo Nacional del Prado, Madrid

Pacheco schrieb nicht nur über Malerei, sondern auch über Skulpturen (und deren Bemalung). Dieser Aspekt spielt in der Ausstellung El Siglo de Oro eine gewichtige Rolle: Eine Reihe bemerkenswerter bildhauerischer Arbeiten interpunktiert den Bilderparcours, darunter eine ungeheuer eindringliche Paulus-Büste (man erkennt beinahe noch den fanatischen Saulus darin). Eine große Kreuzweggruppe wird mit einem Schweißtuch der heiligen Veronika von Francisco de Zurbarán kombiniert, das "heilige Gesicht" stellt in dieser gelungenen Montage einen Abdruck einer Wirklichkeit dar, die dreidimensional anwesend ist wie in einem modernen Themenpark.

Francisco de Zurbarán: Das Schweißtuch der Heiligen Veronika, 1658.
Foto: Museo Nacional de Escultura

Ein kleiner, im Detail schmerzhaft realistischer Gekreuzigter von Luisa Ignacia Roldán (La Roldana) erweckt Aufmerksamkeit gerade wegen seines intimen Formats – der Christus am Kreuz hat die Dimensionen eines Christkinds, dabei sind seine Qualen deutlich nachvollziehbar. In einem Ecce Homo von Pedro de Mena aus dem späten 17. Jahrhundert kann man beinahe schon nachvollziehen, dass von dem Gottmenschen Jesus eines Tages nur noch der gemarterte Mensch übrig bleiben würde, an dessen Leiden auch die Aufklärung keine Zweifel anmelden wollte.

Das goldene Zeitalter in Spanien ist nach dieser differenzierten Ausstellung nicht leicht auf einen Nenner zu bringen, und das soll ja auch gar nicht das Ziel sein. Aber eine Tendenz könnte man doch entdecken: dass das Selbstbewusstsein, mit dem sich eine reiche Elite in die heiligen Geschichten eintrug, letztendlich dazu diente, diese zu vermenschlichen – und nicht umgekehrt die Privilegierten auf das Leben herabschauen zu lassen. (Bert Rebhandl, 11.7.2016)