Frankfurt – In der von Überkapazitäten und Billig-Importen gebeutelten europäischen Stahlindustrie bahnt sich womöglich eine Großfusion an. Der indische Stahlriese Tata Steel spricht mit Thyssenkrupp über einen Zusammenschluss des europäischen Stahlgeschäfts. "Tata hat nun Gespräche mit strategischen Spielern der Stahlindustrie aufgenommen, inklusive ThyssenKrupp", teilte der indische Konzern mit. Tata wolle so ausloten, inwiefern ein mögliches Joint Venture realisierbar sei. Allerdings befänden sich die Gespräche noch in einem frühen Stadium.

Eine Sprecherin von Thyssenkrupp bestätigte am Sonntag die Avancen von Tata. "Wir haben immer gesagt, dass in einer solchen Situation jeder mit jedem spricht – unter anderem sprechen wir auch mit Tata Steel", sagte sie. Aufgrund der extrem angespannten wirtschaftlichen Situation hält Thyssenkrupp eine Konsolidierung der europäischen Stahlindustrie für erforderlich. "Die gesamte Stahlindustrie in Europa kämpft darum, in einer wirtschaftlichen schwierigen Situation zukunftsfähig zu bleiben. Nur wenige Stahlkocher in Europa sind aktuell profitabel – unser Stahlgeschäft gehört zu diesen wenigen Unternehmen."

Wie die Nachrichtenagentur Reuters von Insidern erfahren hat, planen Thyssenkrupp und Tata bei einer Fusion nur wettbewerbsfähige Stahlstandorte in Europa zu betreiben – zu denen gehören die älteren britischen Werke nicht. In Branchenkreisen hatte es geheißen, Thyssenkrupp und Tata strebten einen Zusammenschluss ihrer Werke in Deutschland und den Niederlanden an. Dazu müsse aber eine Lösung für die britischen Werke Tatas gefunden werden.

Brexit erschwert Stahlgespräche

Den Insidern zufolge werden die Gespräche der beiden Stahlriesen durch die britische Brexit-Entscheidung belastet. Das Votum für einen Austritt der Briten aus der EU mache die Verhandlungen nicht einfacher, hieß es. Denn die Konzerne bräuchten für die geplante Zusammenarbeit die Unterstützung der britischen Regierung. Der scheidende Premierminister David Cameron hatte diese bei der Suche nach einem Käufer für Aktivitäten von Tata in Großbritannien zugesagt. Tata teilte nun mit, für die britischen Werke gebe es sieben Interessenten. Tata will sich von seiner kompletten Großbritannien-Sparte mit 15.000 Beschäftigten trennen.

Branchenkenner in Großbritannien befürchten, dass durch den Austritt aus der Europäischen Union ein Aus für das Tata-Werk in Port Talbot in Wales noch einen Stück näher gerückt sein könnte. "Die Entscheidung für einen Brexit wird unsere Stahlindustrie erschüttern", hatte Gareth Stace vom britischen Branchenverband UK Steel prognostiziert. Zudem hatten die Marktturbulenzen nach der Brexit-Entscheidung auch die Pensionsfonds der Stahlarbeiter belastet. Die britische Regierung hatte in der Vergangenheit eine Reform angekündigt. Schon vor dem Referendum summierten sich die Verpflichtungen für Pensionen auf rund 14 Milliarden Pfund – rund 700 Millionen Pfund mehr als die Anlagen. Die Pensionsverpflichtungen lasten auf Tata Steel. (Reuters, 10.7.2016)