Mit dem Abgang von Heinz Fischer von der politischen Bühne geht eine Ära zu Ende. Nicht nur dass sein Nachfolger erstmals nicht mehr aus den Reihen der Regierungsparteien kommt. Es war auch ein Abschied von einer politischen Kultur und Themen, die die Zweite Republik geprägt haben.

Jemand wie der 78-jährige Fischer, dessen Schwiegervater zwei KZs überlebt und der als Kind den Weltkrieg noch selbst erlebt hat, begründet die EU aus Erfahrung als Friedensprojekt. Daraus ergeben sich Schlussfolgerungen, dass die EU mehr ist als ein gemeinsamer Markt. Daraus entstehen wechselseitige Verpflichtungen. Sein Bekenntnis zu einem "gemeinsamen Europa" zog sich wie ein roter Faden durch seine Rede, mit der er Abschied nahm, aber zum Aufbruch mahnte. Er tat dies auf jene Weise, die sein gesamtes politisches Wirken gekennzeichnet hat: zurückhaltend, mehr hinweisend als fordernd.

Dass er die Migration an den Anfang seiner Rede stellte und daran erinnerte, dass seine Frau Margit als Flüchtlingskind in Schweden geboren worden war, zeigte, wie wichtig ihm dieses Thema ist. Er forderte Rationalität und Humanität in der Flüchtlingspolitik gleichermaßen ein – eine Absage an diejenigen, die für eine unbegrenzte Aufnahme plädieren, aber auch an jene Politiker, die mit Abschottung den Tod von Menschen in Kauf nehmen.

Seine Warnungen vor Hass im Internet und Populismus waren Botschaften genauso wie seine Mahnung, dass es auch in einer Leistungsgesellschaft "menschenwürdige Lebensbedingungen" geben müsse. Auch das war typisch Fischer: Niemand wurde direkt angesprochen, aber jeder wusste, wer und was gemeint ist.

Mit Fischer geht ein Politiker, der sich wie kaum ein anderer dem Dialog und dem Aufeinanderzugehen fast bis zur Selbstverleugnung verpflichtet sah. Er steht für die Konsensdemokratie, die mit dem Niedergang der beiden ehemaligen Großparteien SPÖ und ÖVP und mit ihnen der Sozialpartner an ihr Ende gelangt scheint. Aber was kommt jetzt?

Dass just Fischer Leistungsbereitschaft und Veränderungen einfordert "für die Menschen, für die Politik und für die Gesellschaft insgesamt", erstaunt. Aber vermutlich sieht man im Abgang vieles schärfer, was notwendig ist, was getan werden muss in einem Land, in dem es sich viele bequem eingerichtet haben.

Es ist noch immer ein "schönes Land", wie das scheidende Staatsoberhaupt zu Recht sagte. Jeder weiß, es müssen dringend Reformen angepackt werden: vom Bildungsbereich über die Sozialkassen bis zur Steuerpolitik. Der Föderalismus wurde als das dringendste Reformthema bei der Präsentation des Wirtschaftsberichts in dieser Woche identifiziert. Ein anderer Präsident – jener des Rechnungshofs – hat sich in der Vorwoche mit Verweis auf 1007 Reformempfehlungen verabschiedet. Die Regierung hat ein paar kleine Schritte gesetzt. Das sind Signale vor der Sommerpause – mehr nicht. Der neu aufgeflammte Streit über die Mindestsicherung zeigt, wie wenig sich die Koalitionäre, aber auch ihnen nahestehende Vereinigungen einig sind. Dazu kommt noch der bekannte Bund-Länder-Konflikt.

"Veränderung ist oft unbequem, schmerzhaft und anstrengend. Aber auf Veränderung zu verzichten kann noch viel schmerzhafter werden." Das ist Heinz Fischers Vermächtnis, sein Weckruf für die nach ihm politisch Aktiv(er)en – und ein Auftrag. (Alexandra Föderl-Schmid, 8.7.2016)