"Wen interessiert es, ob man im Gymnastikanzug meine Binde sieht? Ich tanze zu gerne, um einen Tag auszusetzen", schreibt eine junge Frau auf Twitter. Sie ist eine der Nutzerinnen, die aktuell unter dem Hashtag "#Tweetyourperiod" ihre Erlebnisse mit der Menstruation teilen. Die Idee dazu stammt von einer US-amerikanischen Aktivistin, die sich nicht länger für ihre Regelblutung schämen wollte. "Ich möchte in einer Welt leben, in der wir offen und ehrlich über die Menstruation sprechen können", ist im dazugehörigen Blogpost zu lesen.

Mit diesem Wunsch ist sie nicht alleine: Feministinnen rund um den Globus haben sich aktuell dem Kampf für mehr "Period Positivity" verschrieben. In Karlsruhe sorgte im vergangenen Jahr eine 19-jährige Schülerin für Aufsehen, die Binden mit politischen Botschaften auf Straßenlaternen und Bushaltestellen klebte. Insbesondere der Spruch "Stell Dir vor, Männer wären genauso angeekelt von Vergewaltigungen wie von der Periode" verbreitete sich rasant im Netz. Dass ein kleiner Fleck Menstruationsblut nach wie vor als anstößig empfunden wird, bewies indes die Reaktion des sozialen Netzwerks Instagram. Als die kanadische Autorin und Künstlerin Rupi Kaur das Foto einer liegenden Frau mit Blutfleck auf der Hose veröffentlichte, entfernten MitarbeiterInnen des Unternehmens es wiederholt – obwohl weder Nacktheit noch sexuelle Handlungen zu sehen waren. Ein breiter Protest folgte umgehend, Instagram entschuldigte sich schließlich und gab das Bild wieder frei.

Theresa Lehmann führte der Download einer Zyklus-Tracking-App zum Thema Menstruation. "Ich machte spannende Entdeckungen und bekam dadurch noch mal ein ganz neues Bewusstsein für meinen Zyklus", erzählt die Studentin und Aktivistin. Für einen Vortrag auf der Berliner republica-Konferenz setzte sie sich mit der neuen digitalen Sichtbarkeit der Menstruation auseinander. "Ich hielt es für wichtig, all das, was gerade passiert, einzufangen, in einen Kontext zu setzen und kritisch zu analysieren", sagt Lehmann.

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Der Tumblr-Blog "Menstrual Moments" versammelt Bildbeiträge und Videodateien zum Thema.
Foto: Getty Images/Marcus Lindstrom

Menstruations-Stigma

Chris Bobel, Dozentin an der University of Massachusetts in Boston, hat den Menstruations-Aktivismus der sogenannten Dritte-Welle-Feministinnen wissenschaftlich aufgearbeitet. Im bereits 2010 erschienen Buch "New Blood. Third-wave Feminism and the Politics of Menstruation" analysiert sie die Strategien der Aktivistinnen und deren historische Wurzeln. Denn der Menstruations-Aktivismus ist alles andere als neu. Schon in den späten 1960er-Jahren verstörten Aktionskünstlerinnen mit dem Einsatz von Menstruationsblut, spirituell motivierte Feministinnen idealisierten die Periode hingegen als weibliche Kraftquelle. Von einer solchen Verknüpfung der Menstruation mit dem Frausein wollen sich viele Aktivistinnen heute befreien: Transmänner können schließlich ebenso menstruieren wie es manche Frauen aus gesundheitlichen Gründen nicht tun, mit dem englischsprachigen Begriff der "Menstruators" wird der starren Zweigeschlechtlichkeit eine Absage erteilt.

Warum Periodenblut dennoch nach wie vor mit Scham und Ekel verbunden ist, erklärt Bobel anhand des herrschenden Menstruations-Stigmas. "Historisch betrachtet wurde die Menstruation dazu benutzt, Frauen abzuwerten, sie als schmutzig, unberechenbar und unfähig zu erklären", sagt die Wissenschaftlerin. Dieses Stigma hätte auch Feministinnen davon abgehalten, sich dem Thema zu widmen – Menstruations-Aktivismus sei stets Sache einer Minderheit gewesen. "Ich denke aber, dass gerade aufregende Dinge passieren", sagt Bobel. Mit der Forderung nach einer Senkung der Steuer auf Hygieneartikel werde der Aktivismus auf eine institutionelle Ebene gehoben. Für Binden, Tampons und Menstruationstassen gilt in vielen Ländern – darunter auch Österreich – kein ermäßigter Steuersatz. In einem Interview mit der Videobloggerin Ingrid Nielsen gestand Barack Obama ein, sich dessen nicht bewusst gewesen zu sein. "Ich nehme an, Männer haben diese Gesetze gemacht", sagte der US-Präsident.

US-Präsident Barack Obama im Interview mit Videobloggerin Ingrid Nielsen.
Reflect

Auch unter einem ökologischen Gesichtspunkt wird das Menstruieren mittlerweile betrachtet. Benutzte Binden und Tampons werden nicht nur ressourcenintensiv produziert, sondern verursachen auch Tonnen an Müll. Abhilfe schaffen hier wiederverwendbare Tassen aus Silikon, auch waschbare Stoffbinden erleben eine Renaissance – DIY-Anleitungen dafür finden sich in zahlreichen Youtube-Videos.

Verschämtes Schweigen

Junge Menschen, die ganz selbstverständlich und offen mit ihrer Menstruation umgehen, kennt auch Kerstin Pirker vom Frauengesundheitszentrum in Graz – allerdings seien diese deutlich in der Minderheit. Im Gegensatz zu anderen Angeboten werde die Menstruationsberatung im Gesundheitszentrum nur wenig nachgefragt, im Zuge der Mädchenarbeit stoßen die Mitarbeiterinnen regelmäßig auf viel Unwissenheit. "Ekel ist ein großes Thema, und mit diesem Ekel geht die Sprachlosigkeit einher", erzählt Pirker. Selbst Gespräche zwischen Müttern und Töchtern seien nicht selbstverständlich, die Informationsquelle Nummer eins sei für Mädchen heute ganz klar das Internet. Um die als eklig und lästig empfundene Menstruation loszuwerden, würden junge Frauen vermehrt zu hormonellen Verhütungsmitteln greifen, ein Trend, der im Frauengesundheitszentrum angesichts der möglichen Nebenwirkungen kritisch beobachtet wird.

In den USA werden neu entwickelte Pillen-Langzeitpräparate, die die Regelblutung ausschalten, geschickt vermarktet, erzählt Frauenforscherin Chris Bobel. Im Fokus stünden nicht Frauen, für die die Menstruation mit starken Schmerzen verbunden ist, die Botschaft laute vielmehr: "Kontrolliere deinen Körper, sei jederzeit leistungsfähig!" Ein offener Dialog werde so erst recht verhindert, ist Bobel überzeugt.

Gesundheitspolitik

Mit dem "Menstrual Hygiene Day" am 28. Mai machen NGOs indes die Bedeutung der Menstruationshygiene für Mädchen und Frauen weltweit sichtbar. Stigmatisierende Mythen rund um die Periode, aber auch der fehlende Zugang zu Hygieneartikeln und Toiletten sowie spezifische Hürden für Frauen mit Behinderungen adressiert die Kampagne als zentrale Frauen- bzw. Menschenrechtsfragen.

Dass Menstruations-Mythen auch hierzulande überlebt haben, verwundert mit Blick auf die Medizingeschichte wenig. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts sprachen ÄrztInnen von einem "Menstruationsgift", die medizinische Erforschung der Menstruation wird gegenwärtig vernachlässigt. Theresa Lehmann sieht gerade diesen Aspekt im gegenwärtigen Menstruations-Aktivismus zu wenig beachtet. Auch mit der Beratung und Behandlung bei GynäkologInnen gebe es in ihrem Umfeld große Unzufriedenheit. "Es gibt kaum Bewusstsein, was Krankheiten wie Endometriose oder das Polyzystisches Ovar-Syndrom betrifft, Schmerzen werden einfach relativiert", sagt Lehmann.

Die bei manchen Personen auftretenden Beschwerden seien nach wie vor kein Alltags-Thema, beklagt auch Kerstin Pirker: "Bei der Arbeit ist es beispielsweise total unüblich, dass man einmal sagt: Ich habe heute meine Regel bekommen, ich habe Bauchschmerzen." Berichte über Krämpfe, blutige Unterhosen und Verdauungsstörungen, die zumindest auf Twitter nachzulesen sind, könnten ein erster Schritt in Richtung Selbstverständlichkeit sein. (Brigitte Theißl, 10.7.2016)