Ein Unfall passiert, plötzlich ist man nicht mehr entscheidungsfähig: In solchen Fällen werden derzeit Sachwalter bestellt. Künftig soll man selbst wählen können, von wem man wie vertreten wird.

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Wien – Nichts selbst entscheiden zu dürfen und einer Person völlig ausgeliefert zu sein – dieses Albtraumszenario ist bei einigen der rund 59.000 Menschen, die besachwaltet werden, derzeit Alltag. "Es gibt viele Fälle, die man nur mit Kopfschütteln zur Kenntnis nehmen kann." Dieser Kommentar zum Sachwaltersystem stammt nicht von einem Betroffenen, sondern von Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP). Sein Zivilrechts-Sektionschef Georg Kathrein hat eine umfassende Reform des Sachwalterrechts ausgearbeitet.

Ziel der Reform ist es, die Zahl der Menschen, die von Fremden in allen Angelegenheiten vertreten werden, drastisch zu senken. In den letzten zwölf Jahren habe sie sich verdoppelt. Das Gesetz für die "Erwachsenenvertreter" – dieser Begriff ersetzt den heutigen "Sachwalter" – ist mit der SPÖ abgestimmt, der Entwurf ging am Donnerstag in Begutachtung und soll 2018 in Kraft treten.

Die Reform in Eckpunkten:

  • Ausnahme: Der vom Gericht bestellte Sachwalter soll laut Entwurf künftig die Ausnahme sein. Jeder Betroffene soll so weit wie möglich selbst bestimmen können, von wem er oder sie sich vertreten lassen möchte.
  • Selbst wählen: Die Reform sieht vor, dass man sich auch dann selbst einen Vertreter aussuchen kann, wenn man bereits eingeschränkt entscheidungsfähig ist. Derzeit ist das nur vorab möglich, von dieser Vorsorgevollmacht machen aber nur wenige Gebrauch. Der gewählte Vertreter muss im neuen Modell kein Verwandter sein, es kann sich auch um den Nachbarn oder einen Freund handeln. Die Bestellung kann widerrufen werden. Hat der Betroffene jemanden gewählt, darf das Gericht niemanden bestellen.
  • Verwandte: Wer nicht mehr in der Lage ist, selbst einen Vertreter zu wählen, kann schon jetzt durch den Lebensgefährten, Eltern oder Kinder vertreten werden, diese Option wird erweitert. Im Entwurf ist vorgesehen, dass man künftig auch vom Bruder oder von der Schwester vertreten werden kann. Der oder die Betroffene hat ein Widerspruchsrecht.
  • Einschränkung: Oft wird kritisiert, dass Sachwalter alles entscheiden und die Betroffenen entmündigen. Die Reform soll bewirken, dass Vertretungen für Teilbereiche ausgesprochen werden, zum Beispiel für Finanzanlagen oder rechtliche Angelegenheiten. Die uneingeschränkte Vertretung soll die Ausnahme sein, der automatische Verlust der Geschäftsfähigkeit abgeschafft werden.
  • Honorar: Der Entwurf sieht zum Teil höhere Honorare und eine Vermögensbeteiligung für Erwachsenenvertreter vor.
  • Ablaufdatum: Jede gesetzliche und gerichtliche Vertretung endet laut Entwurf automatisch nach drei Jahren oder schon früher, wenn die Angelegenheit erledigt ist. Bisher kritisierten viele Betroffene, dass die Sachwalterschaft auch dann fortdauerte, wenn sie gar nicht mehr notwendig war.
  • Keine Massenvertretung: Um der derzeitigen Praxis, dass ein Anwalt oder Notar 80 Personen gleichzeitig besachwaltet, einen Riegel vorzuschieben, ist eine Obergrenze von 25 Personen im Fall gerichtlich bestellter Vertretung vorgesehen.
  • Clearing: Die Erwachsenenschutzvereine sollen vor gerichtlicher Bestellung ein Clearing vornehmen, um zu prüfen, dass alle Alternativen ausgelotet wurden.

Die Reform werde den Bezirksgerichten, Notaren und Anwälten sicher mehr Arbeit bringen, sagt Brandstetter, mehr Geld für derzeit schon stark ausgelastete Gerichte sei daher vorstellbar. Neu ist auch, wie die Reform zustande kam: Betroffene waren an der Gestaltung beteiligt. (Maria Sterkl, 7.7.2016)