Das Belvedere hat den US-Amerikaner für ein Intermezzo ins Winterpalais geladen: Ein Elend der Gegenwart trifft in dessen erster Europa-Werkschau auf imperialen Pomp des Barock. Ein Stellungskrieg, bei dem sich auch die Materialien spinnefeind sind

Wien – Zu Tode gebleicht. Das könnte man vom zerfetzten Jeansgespenst sagen, das gemeinsam mit seiner Mörderin, einer Flasche Chlor, im gelben Salon des Winterpalais des Prinzen Eugen herumspukt. Vom Bus überrollt. Danach sehen die plattgewalzten, fast zerfließenden Füße zweier Wanderer aus. Als Bronzegüsse sind die erbarmungswürdigen Fußkadaver im Goldkabinett auf Sockel gehievt. Anderes erinnert an zerfetzte Körper, an Knochen.

Wie nach einem Erdbeben schaut es in einer Keramikschale aus; die leuchtend lavarote Glasur gibt dem unförmigen Chaos darin einen Touch von Fegefeuer. Und schließlich noch die schlaffen textilen Puppen mit ihren langen Extremitäten, riesigen Füßen und Spaghettiwolle am Schädel. Wie von Narkotika sediert liegen die überlebensgroßen Figuren hier herum. Man kann sich nicht vorstellen, dass diese Untoten sich jemals wieder aufraffen.

Materialien, die lieber ihre widerwärtige Fratze zeigen statt einer Duckface-Schnute, bilden eine Szenerie des Elends, von vandalisierter Existenz und Aggression. Keine Frage: Der Kontrast zur barocken Pracht des Palais könnte nicht größer sein. Das Belvedere hat den US-Amerikaner Sterling Ruby (geb. 1972) eingeladen, auf das üppige, goldgetränkte Ambiente mit Gegenwartsästhetik zu antworten. Die Spannung zwischen dem edlen Schein, zwischen Parkett sowie Stuck und den rauen, aufgeworfenen Oberflächen, billigen Materialien und gerade noch vorm Altpapier geretteten Bierdosenpalettenverpackungen geriet gewaltig.

Nicht zuletzt weil Ruby mit verschiedensten Materialien arbeitet – mit Kunststoff, Textil, Bronze, Eisen -, gilt er als einer der unberechenbarsten zeitgenössischen Künstler der USA. Interessant macht ihn aber insbesondere seine rotzige Arbeit mit Keramik. Trotzdem Picasso, Giacometti oder Fontana damit arbeiteten, war es ein lange vergessenes Material, das jetzt Höhenflüge erlebt.

Raf Simons, mit dem Sterling bei seinen Ausflügen in die Modewelt kooperierte, gab dem wegen des "Pathologischen" in Los Angeles Lebenden den Spitznamen "Gangster-Rothko". Ein Prädikat, das auf den Hype um Sterlings Spray-Paintings anspielt: abstrakt-grelle Farblandschaften in musealem Format, die sich etwa in den Sammlungen des Moma in New York oder der Londoner Tate gut machen. Auch Sterlings Galerien wurden stets größer: Von Foxy Productions und Metro Pictures wechselte er zu Pace, zu Hauser & Wirth; jetzt vertreten ihn Gagosian und Sprüth Magers – mächtige Marktkaliber, die Karrieren gewaltig pushen können. Bei den Marketingkonzepten, die dort gezimmert werden, gilt es auf der Hut zu sein.

Palawer von Kriegsstrategie

Auch im Winterpalais. Da nützt Kurator Mario Codognato die militärische Feldherrenbiografie des Hausherrn geschickt, um Agression und Zerstörung in Rubys Werk militärisch in Stellung zu bringen. Da wird die Vielgestaltigkeit seines Werks zur "umfassenden Kriegsstrategie" für die "unersättliche Bühne" und "Arena" der Gegenwartskunst. So wie Prinz Eugen Territorien verteidigte, so besetze nun Ruby, der in der Tat die imperiale Geste der USA kritisiert, hier mit Kunst Raum. Und freilich betont man dann auch gerne, dass er als Sohn eines Army-Mitarbeiters auf einem deutschen Luftwaffenstützpunkt geboren wurde. Dabei lebte Klein Sterling bald schon wieder in den USA, auf einer Farm in Pennsylvania – als ein "Kind von Hippies", wie er einmal verriet.

Gängigen Zuschreibungen entzieht er sich ebenso wie Fragen zu tieferen Inhalten. Fix ist, dass er, ausgebildet in den 1980ern, als Konzept und Minimalismus angesagt waren, eine unbändige Sehnsucht nach "Aufrichtigem" und der Geste entwickelte. Und eine dieser Gesten ist die Dekonstruktion der US-Flagge, vor der er als Schüler täglich den Fahneneid ablegen musste. Ein Symbol, das er sowohl umarmt, als auch wiederum in billigem Fleece verhöhnt oder im Dialog mit fleckigen Flammeninfernos entlarvt. (Anne Katrin Feßler, 8.7.2016)

Aus billigem, warmem, behaglich-kuscheligem Fleecematerial sind die den Patriotismus verhöhnenden "Candles" von Sterling Ruby.

Foto: Belvedere
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Foto: Toppress/ Karl Schöndorfer