Tamedia steigt bei "Heute" ein.

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Was hat Eva Dichand in den USA gelernt? Erstens, "Digital First", aber für diese Erkenntnis hätte sie nicht so weit reisen müssen. Zweitens, und schon interessanter, such dir einen starken Partner. Nicht, dass Frau Dichand einen solchen in der Familie lange suchen müsste. Aber Familiengeschichten sind halt immer kompliziert. Und außerdem möchte Eva Dichands "Heute" auf keinen Fall morgen Teil des "Krone"-Imperiums werden.

Also die Fühler anderswo ausstrecken. Bei Unternehmen, die noch freiwillig in gedruckte Medien investieren, herrscht nicht Damenwahl. Da muss schon Überzeugungsarbeit geleistet werden. Bei der Gratispresse bröckelt der Lack im internationalen Umfeld gewaltig. In der einstigen Hochburg Dänemark überlebt gerade noch ein solcher Gratistitel, auch in den anderen skandinavischen Ländern ist von Gratis-Boom keine Rede mehr. Deutschlands Verleger haben bisher erfolgreich jeden Versuch erstickt, Pendlerzeitungen auf den Markt zu bringen. In Frankreich, den Niederlanden und in Großbritannien ist Platz für gerade eine Gratiszeitung. Auch dort ist der Wachstumszenit erreicht.

Gratispresse stagniert

Zwei Gründe sind für die verblassende Attraktivität maßgeblich: Erstens erkennen immer mehr Verleger an, dass das Verschenken journalistischer Leistung deutlich mehr Schaden anrichtet als Nutzen stiftet. Aus der Gratis-Kultur ist eine Gratis-Unkultur geworden. Auch wenn nicht die Zeitungsverleger, sondern das Privatfernsehen, die Kostenlosabgabe von redaktionellen Leistungen erfunden haben, so haben die Verleger mit den Pendlerzeitungen doch kräftig Öl ins Feuer gegossen.

Profitiert haben wenige, unter den ökonomischen Folgen leiden alle. Mit den kostenlosen Online-Medien haben die Zeitungshäuser nachhaltig dafür gesorgt, dass eine ganze Generation mit dem Bewusstsein heranwächst, Information sei nicht nur ein öffentliches, sondern auch ein kostenloses Gut. Jetzt versuchen sich die meisten Zeitungen in der unbeliebten Disziplin des Zurückruderns. Jüngstes Beispiel: Die "Salzburger Nachrichten" möchten ihre Premium-Inhalte im Netz verkaufen. Da passt eine Gratiszeitung nicht mehr ins Geschäftsmodell.

Zweitens laufen Nachrichten und Unterhaltung bequem auf dem Smartphone. U-Bahnen, Straßenbahnen und öffentliche Busse sind mit Internet-Anschluss versorgt und wer sich schnell informieren oder unterhalten möchte, greift zum Smartphone und lässt die Gratiszeitung in der Box. Papier bleibt bei denen beliebt, denen der Bildschirm zu klein ist. Und die einfach gerne mit Papier rascheln.

Die Auflagezahlen der Gratiszeitungen stagnieren dementsprechend. Die Druckauflage von "Heute" ist von 2013 bis 2015 nur noch um 30.000 Exemplare auf gesamt 653.000 gestiegen. Und das Gratis-Flaggschiff "20 Minuten" in der Deutschschweiz hat in diesem Zeitraum sogar 45.000 Exemplare eingebüßt (2015: 448.000 Auflage).

Tamedia: Umarmen bis die Luft ausgeht

Damit wären wir bei der Schweiz und dem Zeitungsverlag Tamedia. "20 Minuten" ist aus einem heftig geführten Verdrängungswettkampf als Sieger hervorgegangen. 1999 von dem norwegischen Verlag Schibsted in Zürich gegründet, und ab dem Jahr 2000 von der Gratiszeitung Metro bedrängt, übernahm 2003 das Zürcher Medienhaus Tamedia das Ruder und spielte Metro sowie die dritte Gratiszeitung mit dem Titel ".ch" (ab 2007, unter Beteiligung des Österreichers Michael Grabner) an die Wand. Als Waffe erfand Tamedia eine weitere Gratiszeitung mit dem Titel "News" (ebenfalls ab 2007). Die Waffe wurde an dem Tag wieder in der Rüstkammer entsorgt, an dem ".ch" und Metro wegen des Konkurrenzdrucks die Luft ausging (2009). Ein strategisches Schelmenstück der Tamedia.

Seit damals ist den Konkurrenten klar, mit welchen Bandagen Tamedia zu kämpfen bereit ist. Noch im selben Jahr 2009 übernahm Tamedia in der französischsprachigen Westschweiz die Hälfte des dort marktführenden Verlages Edipresse – und stellte umgehend das dortige Gratisblatt "Matin Bleu" ein, um den Markt für das eigene Produkt, "20 minutes", frei zu machen. Seit 2013 gehörte Edipresse zur Gänze Tamedia.

Nun also übernimmt Tamedia 25 Prozent von "Heute" in Österreich und 51 Prozent der Digitalgesellschaft Heute.at. Verhält sich Tamedia ähnlich wie bei den Schweizer Akquisitionen der letzten Jahre, dann ist es um die Unabhängigkeit von "Heute" bald geschehen. Aber das ist keine ausgemachte Sache. Für Tamedia ist die Expansion nach Österreich neben Beteiligungen in Luxemburg und Dänemark die erste nennenswerte Auslandsaktivität im Printbereicht. Das ist mutig. Schließlich war ausländischen Medieninvestitionen in Österreich bis auf eine einzige Ausnahme bisher kein nachhaltiger Erfolg beschieden.

Der deutsche Axel Springer Verlag half 1992 bei der Gründung von News, sechs Jahre später erfolgte der Ausstieg und der Verkauf der Anteile an Gruner+Jahr, die wiederum im Juni 2016 ihre Anteile an Horst Pirker verkaufte. Auch an der Gründung des STANDARD war Springer 1988 beteiligt, zog sich 1995 aber wieder zurück. Die Beteiligung an der Moser Holding in Innsbruck (von 1989 bis 2002) war auch keine Erfolgsgeschichte.

Aus der Schweiz versucht gerade der Verlag Neue Zürcher Zeitung eine andere Strategie und gründete im Jänner 2015 die Online-Plattform NZZ.at – mit mäßigem Erfolg und dem Abbau von Personal schon nach gut einem Betriebsjahr. Die Ausnahme bildet das mittlerweile umstrittene Engagement der Funke-Gruppe (ehemals WAZ) an "Krone" und "Kurier" seit 1987 und 1988.

Keine Goldgrube für Investoren

Kann Tamedia den Trend brechen? Dafür spricht die zweifellos große Kompetenz bei der Führung von Gratistiteln. Doch die Pendlerströme sind in Österreich anders als in der Schweiz und mit der Zeitung "Österreich" herrscht im Osten des Landes Wettbewerb auf dem Gratismarkt. Hinzu kommt, dass mit dem Kanzlerwechsel wohl eine zentrale Einnahmequelle spärlicher sprudeln wird, nämlich die Anzeigen der öffentlichen Hand.

Tamedia wird sich also zunächst um das wackelige Geschäftsmodell und den Wettbewerber kümmern müssen. Für die Zeitung Österreich werden die Zeiten härter, und Tamedia wird einen langen Atem brauchen. Da stellt sich die Frage, ob Tamedia angesichts des Gegenwindes das Gratis-Modell durch alle Böden verteidigt und zu längerfristigen Investitionen bereit ist. Eine billige Cash-Cow ist Heute auf jeden Fall nicht.

Die österreichischen Verleger sollte der Tamedia-Fuß in der Türe des österreichischen Marktes beunruhigen. Tamedia ist nicht nur größer als die österreichischen Regionalzeitungen, Tamedia ist deutlich aggressiver und das Engagement ernsthafter als jenes der "Neuen Zürcher Zeitung". (Josef Trappel, 7.7.2016)