Peter Drysdale, der führende Wirtschaftsakademiker Australiens, hält sichtlich wenig vom britischen Brexit-Populisten Boris Johnson. "Es ist Wirtschaftsgeografie, Idiot!", reagiert er auf dessen absurde Idee, Australien könne die Lücke füllen, die eine abgehalfterte EU hinterlassen wird.

Der Wirtschaftsprofessor und Experte erinnert den strohhaarigen Politiker daran, dass "sich die Welt in den letzten 75 Jahren verändert hat". Nur noch 1,2 Prozent aller britischen Exporte gingen in die ehemalige Kolonie, und nur 0,5 Prozent der Importe kämen aus Down Under. Nein, für Peter Drysdale ist klar: Nicht Australien, sondern Asien ist die einzige Hoffnung, die Großbritannien und die globale Wirtschaft nach dem Brexit noch haben.

Für Drysdale ist der Austritt Großbritanniens aus der EU "ein weiterer Schlag für die globale Wachstumsentwicklung". Und das zu einer Zeit, in der Industriestaaten versuchten, sich von der Finanzkrise zu erholen. Die Aussichten seien jedenfalls düster. "Sie wären aber noch düsterer, wäre da nicht das Wachstum in Asien", sagt Drysdale. Dem Kontinent – und ganz besonders China -, komme in den kommenden Monaten und Jahren eine wichtige Rolle zu. Asien sei der Welt "letzte Verteidigung gegen Europas selbstverursachte Wunden".

Wachstumsmaschine

Im Gegensatz zu anderen Regionen der Welt sei Asien der Wirtschaft Großbritanniens wenig ausgesetzt, wenn sie wie erwartet als Folge des Brexit unter Druck komme. Für einzelne Länder wie Indien und Vietnam sei die Bedeutung der britischen Inseln am Handelsvolumen zwar substanziell, für andere asiatische Staaten – etwa Südkorea – dagegen minimal. Indien, Japan und auch Australien hätten zwar signifikante Investitionen in Großbritannien – die meisten mit Fokus auf den europäischen Markt.

"Solche direkten Kanäle für die Übertragung von Handels- und Investitionsschocks aus Großbritannien sind aber nicht das größte Problem", sagt Drysdale. "Eine viel größere Sorge ist, dass der Brexit in die Hände jener Kräfte spielt, die gegen freien Handel in Europa und im Rest der Welt agieren." Asien sei nun gefordert, einen Gegenpol zu einer derartigen "Stagnationsmentalität" zu bieten. Denn schließlich sei die Region nach wie vor die "größte Wachstumsmaschine der globalen Wirtschaft". Peter Drysdale ist einer der intellektuellen Architekten der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (Apec). In den 21 Staaten lebt etwa die Hälfte der Weltbevölkerung.

Wille zu mehr Reformen

Der Experte glaubt aber nicht, dass Asien eine solche Rolle problemlos übernehmen kann. "Diese Herausforderung kommt vielleicht etwas zu früh", meint er, "es braucht auf jeden Fall Ambition." Politiker in allen asiatischen Ländern müssten einen Willen zu weiteren Reformen zeigen, die "zur Verbesserung der Produktivität und Beschleunigung struktureller Veränderungen" führten. (Urs Wälterlin aus Canberra, 1.7.2016)