London – Die Chaostage in der britischen Politik erstreckten sich am Donnerstag erneut auch auf die Opposition. Nachdem am Vormittag noch geplant war, die Abgeordnete Angela Eagle als Herausforderin des umstrittenen Labour-Parteichefs Jeremy Corbyn vorzustellen, machte sie am Nachmittag nach Angaben des Guardian einen Rückzieher: Nach dem Rückzug Boris Johnsons seien die Medien mit den Konservativen beschäftigt, teilten ihre Unterstützer als Erklärung mit. Andere sagten, man wolle Corbyn noch etwas Zeit geben, selbstständig zurückzutreten. Eagle werde ihren Antritt an einem anderen Tag bekanntgeben – womöglich nächste Woche.

Die Verschiebung wurde als Zeichen neuer Probleme gewertet. Nicht nur Anhänger Corbyns hatten zuletzt massive Zweifel an der Eignung der früheren Pensionsministerin im Kabinett von Premier Gordon Brown für die Führung der Partei geäußert. Auch Teile seiner Gegnerschaft stellten die Frage, ob Eagle nicht doch zu weit rechts stehen könnte, um von allen Flügeln der Partei akzeptiert zu werden.

Stimmen der Basis

Immerhin müsste sie im Fall eines Antretens Stimmen der Basis gewinnen. Dort genießt Corbyn, anders als unter den Parlamentariern, Beliebtheit. Erst im vergangenen Herbst war er mit den Stimmen von knapp zwei Drittel der Parteimitglieder an die Labour-Spitze gewählt worden.

Britischen Medienberichten zufolge könnte daher ein weiterer Kandidat versuchen, gegen Corbyn anzutreten: Der Abgeordnete Owen Smith sammle ebenfalls Stimmen, hieß es. Er steht etwas links von Eagle, 2003 war der heute 46-jährige Karrierefunktionär noch nicht im Parlament. Der Bewerb zwischen Eagle und Smith solle dem Willen der Corbyn-Gegner gemäß intern gelöst werden.

Womöglich weiterer Kandidat

Corbyn selbst brachte sich mit einer umstrittenen Äußerung am Donnerstag selbst weiter ins Wanken. Ausgerechnet bei der Präsentation eines Berichts über antisemitische Äußerungen in der Labour-Partei zog er eine Parallele zwischen Israel und der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). "Unsere jüdischen Freunde sind ebenso wenig verantwortlich für die Aktionen Israels oder der Regierung von Netanjahu, wie unsere muslimischen Freunde nicht verantwortlich sind für den ,Islamischen Staat'", sagte er. Später wies er den Vorwurf zurück, es habe sich um einen Vergleich zwischen Israel und dem IS gehandelt.

Der Report war nötig geworden, nachdem sich mehrere Labour-Mitglieder antisemitisch geäußert und etwa die Politik Israels mit den Verbrechen der Nationalsozialisten an den Juden verglichen hatten. Das von der Rektorin der Universität Essex, Sami Chakrabarti, verfasste Papier legt den Labour-Mitgliedern nahe, "bei Debatten rund um Israel und Palästina auf Hitler-, Nazi- und Holocaust-Vergleiche sowie auf Metaphern und Faktenverdrehungen zu verzichten". (mesc, 30.6.2016)