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Weil die Briten bekanntlich gern ins Pub gehen und sich die Medien gern mit albernen Umfragen amüsieren, wird in Großbritannien oft die Popularität von Politikern getestet mit der Frage: Können Sie sich vorstellen, mit dieser Person ein Bier zu trinken?

Theresa May hat bei solchen Umfragen stets schlecht abgeschnitten, anders als sonnig wirkende Parteifreunde wie der scheidende Premier David Cameron oder Londons Exbürgermeister Boris Johnson. Das Image der 59-jährigen Innenministerin ist kühl, kompetent, ein wenig technokratisch. May geht seit gut sechs Jahren geräuschlos ihren Aufgaben nach, beteiligt sich nicht am Imponiergehabe der männlichen Alphatiere in ihrer konservativen Partei, lässt sich von diesen aber auch nicht einschüchtern. Darin, in der familiären Prägung und ihrer eigenen Familiensituation ähnelt sie der mächtigsten Frau Europas. Wie Angela Merkel stammt May aus einem Pfarrhaus, wie die promovierte Physikerin hat auch die gelernte Bankerin keine Kinder.

Und wie Deutschlands Kanzlerin genießt May in Umfragen hohes Ansehen, wenn es um Kompetenz geht. Die "Times" veröffentlichte am Dienstag auf der Titelseite eine Befragung, die ernste Zweifel an Johnsons Favoritenrolle für den Posten als Regierungs- und Parteichef weckt. Demnach genießt May unter den Briten einen knappen Vorsprung vor Johnson, liegt aber mit 31:24 Prozent deutlich vor ihm, wenn nur die Tory-Wählerschaft gefragt wird.

Anders als Johnson hat May jedenfalls bewiesen, dass sie eines der schwierigsten Ministerien straff und kompetent führen kann. Dabei hatte May ein unförmiges Ressort geerbt, musste zudem fünf Jahre lang die widerstreitenden Interessen ihrer konservativen Law-&-Order-Hardliner und des liberalen Koalitionspartners berücksichtigen. Das betraf nicht zuletzt die Einwanderungspolitik und die Haltung zur EU. Das harte Sparprogramm der vergangenen Jahre betraf nicht zuletzt die Polizei, deren mächtige Gewerkschaft überkommene Privilegien mit Härte verteidigte. May stellte sich der Debatte, ließ sich auspfeifen und hielt durch. Das hat ihr keine Sympathien, aber Respekt eingebracht – auch von Gegnern.

In der Brexit-Debatte schlug sie sich auf Camerons Seite, hielt sich aber eher bedeckt. Wenn die gerade noch 130.000 Mitglieder nach einer Figur suchen, die beide Lager in der Partei versöhnen und gleichzeitig das Land umsichtig regieren kann – May wäre die Richtige. (Sebastian Borger, 28.6.2016)