Wahlen lassen sich mitunter gewinnen, indem man sie einfach aussitzt. So weit die erste Erkenntnis nach der Wahlnacht in Spanien. Die zweite lautet: Strahlende Sieger sehen zwar anders aus, aber der bereits totgesagte Mariano Rajoy lässt sich offenbar nicht unterkriegen. Seine Volkspartei (PP) gewann am Sonntag mehr Sitze, als sie wohl zu träumen gewagt hatte. Zwar verfehlte sie abermals die absolute Mehrheit, und auf welche Bündnispartner Rajoy auch blickt, sieht er weiterhin nur widerspenstige Oppositionschefs. Der konservative Premier befindet sich dennoch in einer weitaus komfortableren Ausgangslage als beim letzten Mal.

Stillhalten und Abwarten

Es ist schon absurd: Sechs Monate nach der Wahl, die ganz im Zeichen des Wandels gestanden war, hat nun in Spanien die Politik des Stillhaltens und Abwartens gewonnen. Das fängt schon allein damit an, dass die jüngsten Parlamentswahlen überhaupt nur notwendig waren, weil sich nach jenen Ende 2015 keine Partei dazu imstande gezeigt hatte, ihre Eigeninteressen hintanzustellen, um eine mehrheitstaugliche Koalition zu bilden. Rajoy hatte sich nur widerwilligst dazu bereiterklärt, und als er den Versuch wegen offenkundiger Aussichtslosigkeit bald wieder fallen ließ, weigerte er sich, einem unverbrauchten Kandidaten Platz zu machen, der eine solche Koalition ermöglicht hätte. Er beschloss vielmehr, sich zurückzulehnen und abzuwarten, bis die Bemühungen der anderen scheiterten.

Mit Erfolg: Fast fünf Prozentpunkte gewann der in weiten Teilen immer noch unbeliebte Rajoy hinzu – und das trotz seines jüngsten Briefes mit dem Versprechen an Europa, nach der Wahl mit den bei der Bevölkerung verhassten Kürzungen weiterzumachen. Und auch trotz vieler Korruptionsfälle und eines dreisten Skandals um seinen Innenminister, der noch in der letzten Wahlkampfwoche bekanntgeworden war.

Dennoch ist es Rajoy gelungen, einen Teil der alten Stammwähler zurückzuholen, die im vorigen Dezember noch scharenweise zur bürgerlichen Protestpartei Ciudadanos übergelaufen waren. Sie musste dieses Mal am stärksten Federn lassen – und dabei ist sie noch nicht einmal der größte Verlierer des Wahlabends. Das sind auch nicht die Sozialisten, die zwar knapp Platz zwei erreichten, aber das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte einfuhren. Die Podemos-Funktionäre waren es, denen am Abend der Schock ins Gesicht geschrieben stand. Auch sie haben gepokert, aber ihr Ziel verfehlt: Weder kam eine linke Mehrheit zustande, noch wurden sie zur Nummer eins im linken Lager.

Stabilität statt Wandel

Es mag ein Armutszeugnis für Rajoy sein, dass er sich im Wahlkampf darauf beschränkt hat, auf Spaniens Wirtschaftswachstum zu verweisen und vor einer Machtübernahme der als unverantwortlich gebrandmarkten Podemos zu warnen. Es ist ein noch viel größeres für Podemos selbst, dass die Rechnung aufgegangen ist. Sollte Rajoy tatsächlich vor allem aus Angst vor Podemos gewählt worden sein, dann rührt das daher, dass auch Podemos-Chef Pablo Iglesias in den vergangenen Monaten keine gute Figur gemacht hat. Ob ihm sein Ego oder seine schlechten Beliebtheitswerte im Weg standen oder die Spanier doch die Vorstellung abschreckte, das wirtschaftlich angeschlagene Land könne von einem marxistischen Ideologen geführt werden: Nach sechs Monaten Totalblockade hoffen die Spanier nicht mehr auf Wandel, sondern auf Stabilität – selbst wenn diese noch so unbeliebt ist. (Anna Giulia Fink, 27.6.2016)