Die Modelle und Prognosen der Ökonomen sind eindeutig: Der Brexit ist für die EU eine herbe politische Niederlage – für Großbritannien wird der Austritt ein ökonomisches Desaster. Die Verlagerung von Produktionsstandorten und die Einbußen im internationalen Handel werden das Königreich laut Experten in eine tiefe Rezession stürzen. Doch die Vorhersagen sind reichlich vage und manchmal auch tendenziös. Offenbar glaubten diverse Interessenvertreter, man könne das Wahlvolk vom Brexit-Votum abbringen, wenn der Teufel an die Wand gemalt wird. Das Gegenteil war der Fall.

Was jetzt auf die britische Wirtschaft und indirekt auf Europa und die Welt zukommt, lässt sich höchstens in Szenarien beschreiben. Und eine nicht ganz unplausible Variante ist dabei jene, bei der sich gar nicht so viel ändert. Wenn Großbritannien als Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums – wie beispielsweise Norwegen – oder in ähnlicher Form Teil des EU-Binnenmarktes bleibt, sollten sich Kapitalabzug, Exporteinbußen und Massenkündigungen in erträglichen Grenzen halten.

Jedenfalls gilt, dass sämtliche Formen der Kooperation erst ausgehandelt werden müssen. Solange das nicht klar ist, sind Aussagen über ökonomische Auswirkungen Spekulation. Und warum dann der Absturz an den Börsen? Eigentlich sind die Kurseinbrüche angesichts der Tragweite der Volksabstimmung überschaubar. Und sie dürften eher der Unsicherheit über die weitere Entwicklung als den Folgen des Austritts geschuldet sein.

Britische Tabakwerte haben übrigens stark angezogen – ein Hinweis darauf, dass weniger EU-Regulierung nicht nur bei den Wählern gut ankommt. Zu befürchten ist somit auch, dass die Bürokratie in Brüssel gestärkt wird. Denn bisher waren es am ehesten noch die Briten, die so manche Schnapsidee der EU-Kommission vereitelten. (Andreas Schnauder, 24.6.2016)