Welche wirtschaftlichen Konsequenzen hat der Brexit? Es dürfte alles ziemlich kompliziert werden.

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Die Welt ist wieder ein Stück weit komplizierter geworden. So viel lässt sich mit Sicherheit sagen, nachdem die Briten bei ihrem Referendum am Donnerstag mehrheitlich für den EU-Austritt votiert haben.

Wie komplex die neue Ordnung in Europa ist, werden die Bürger in den kommenden Monaten beobachten können, wenn die Verhandlungen zwischen Großbritannien und den 27 verbliebenen EU-Ländern über die Ausgestaltung des Brexit anlaufen. Die Verantwortlichen in Berlin, Paris und Brüssel haben den Schlachtruf für die Gespräche bereits vorgegeben: "kein Rosinenpicken". Soll heißen: Die Union wird der Insel keine Vorzugsbehandlung gewähren und möglichst Härte zeigen.

Hinter dieser Position steckt die Angst, dass Großbritanniens Beispiel Schule macht. Wenn das Land seine Verpflichtungen gegenüber der EU loswird, aber weiter Zugang zum europäischen Freimarkt erhält, wäre dies der beste Beleg dafür, dass der Austritt eines Staates aus der Union nicht schmerzhaft sein muss. Aber können sich die 27 EU-Länder eine "harte" Verhandlungsposition leisten? Vieles spricht dagegen, sagt der Ökonom Gabriel Felbermayr vom Münchner Ifo-Institut.

EU-Ausländer im Königreich

Viele EU-Länder haben nämlich ein wirtschaftliches Interesse daran, dass sich an den engen Beziehungen zwischen der Insel und dem Kontinent nichts ändert. Aktuell leben und arbeiten beinahe 900.000 Polen in Großbritannien und mehr als 230.000 Rumänen. Auch viele Litauer sind nach England ausgewandert. Die Regierungen in Warschau, Vilnius und Bukarest werden die Interessen dieser Bürger im Auge haben.

In einer ähnlichen Position befindet sich Irland. Mehr als 400.000 Iren leben in Großbritannien, und rund 15 Prozent der irischen Warenexporte werden dort verkauft. Das ist der mit Abstand höchste Wert aller EU-Länder. Für Staaten wie Frankreich, Italien und Deutschland ist ein Brexit gesamtwirtschaftlich leichter verdaulich, glauben Ökonomen wie Felbermayr. Innerhalb der Union wird es also nicht leicht werden, eine Position zu finden.

Wobei für einzelne Unternehmen auch aus Deutschland viel auf dem Spiel steht.

Sorgen für BMW

Beispiel BMW: Großbritannien ist für den Autobauer nach China und den USA der drittgrößte Absatzmarkt im Ausland. Zudem baut man Minis und die Rolls-Royce-Luxuswagen auf der Insel. Auch der Energiekonzern RWE ist groß im britischen Geschäft. Angela Merkel habe einen großen Teil des Freitags sicher damit verbracht, die Wünsche von "Lobbyisten" von RWE und BMW für die Brexit-Verhandlungen entgegenzunehmen, sagt Felbermayr.

Bei den Gesprächen über den Brexit liegen prinzipiell zwei Optionen auf dem Tisch: Sollte binnen zwei Jahren keine Einigung erreicht werden, würden automatisch die Regeln der Welthandelsorganisation WTO zu greifen beginnen. Das würde dazu führen, dass britische Waren in der EU mit Importzöllen belegt werden. In der WTO gilt die Meistbegünstigtenklausel. Sie besagt, dass Handelsvorteile, die einem Land zugestanden werden, auch allen anderen Ländern zugebilligt werden müssen.

Das Ifo hat auf dieser Basis ausgerechnet, dass auf britische Pharmaprodukte und Chemikalien Zölle in Höhe von vier Prozent in der EU anfallen würden. Bei Pkws und Autoteilen würden sie sogar bis zu zehn Prozent ausmachen.

EU ohne Mitspracherecht

Damit solche Handelsbeschränkungen nicht greifen, könnte man sich auf ein EWR-Modell (Europäischer Wirtschaftsraum) einigen. Der EWR-Vertrag regelt die Anbindung der EU-Länder an Norwegen, Island und Liechtenstein. In diesen drei Staaten gelten mit wenigen Ausnahmen im Agrarsektor die vier Grundfreiheiten der EU. Also auch die Niederlassungs- und Warenverkehrsfreiheit, Zölle sind abgeschafft. Ein Mitspracherecht bei Entscheidungen der Union haben die drei Staaten nicht. Dafür leisten sie Zuschüsse zum Haushalt der Union.

Das Problem dabei: Hauptargument der Brexit-Befürworter war, dass zu viele Migranten aus der EU nach Großbritannien eingewandert sind und man daher Beschränkungen brauche. Zsolt Darvas, Ökonom am Brüssel Bruegel-Institut, glaubt daher, dass eine Art Mischvariante beim Brexit herausschaut. Die Briten werden die EU-Einwanderer, die bereits im Land sind, akzeptieren, aber keine neuen nehmen. Im Gegenzug wird es für britische Unternehmen und Finanzdienstleister Hürden beim Zugang zum Binnenmarkt geben – aber nur kleine. Es wird also ziemlich kompliziert. (András Szigetvari, 25.6.2016)