Der Sargnagel. Joker und Neo-Rapidler Arnór Ingvi Traustason schießt das 2:1 für Island.

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Sorgte zwischenzeitlich für Hoffnung: Alessandro Schöpf mit dem Ausgleich.

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Geknickt: Florian Klein, Robert Almer, Martin Hinteregger (v. li).

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Island feiert auf dem Wiener Rathausplatz.

derStandard.at

Österreichs Qualifikationseuropameister sind auch an den eigenen Erwartungen im echten Turnierleben gescheitert. Eine gute von sechs Spielhälften – die zweite am Mittwochabend in Saint-Denis gegen Island – reichte nicht für den Einzug unter die zumindest in Frankreich besten 16 Mannschaften des Kontinents. Die Analyse des Scheiterns soll sich in der kommenden Qualifikation für die WM 2018 auszahlen.

Ungewöhnliche Situationen erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. In Frankreich wurde Österreichs Teamchef Marcel Koller deshalb fast noch zum Revoluzzer. Er, der bis zum Geht-nicht-mehr an Erprobtem festhält, nibelungenartig auf bewährte Kräfte vertraut, deren Formkrisen meist ignoriert, von einem Plan B maximal redet, ist über seinen eigenen, sehr großen Schatten gesprungen. Er begegnete den Isländern im Stade de France mit drei Verteidigern, einem Vierermittelfeld sowie quasi zweieinhalb Spitzen.

Ein neues System

David Alaba gab zwischen Marcel Sabitzer und Marko Arnautovic einen halben Neuner beziehungsweise Viertelzehner. Beim ermauerten 0:0 gegen Portugal war er an dieser Rolle glorios gescheitert. Aus dem 4-2-3-1 wurde ein variabel gedachtes 3-4-2-1 (manchmal 3-4-3), die Fachkraft spricht von Überzahlsystem. Man konnte das als Hilfeschrei eines Ertrinkenden interpretieren. Oder als Geniestreich.

Es war schwül in Paris. Die Stimmung im Stade de France rührte die österreichische Seele, rund 35.000 waren aus der Heimat angereist. Die Zuneigung zum Nationalteam ist ungebrochen, sie scheint sogar zu wachsen. So lange halt, bis sie wieder schrumpft. Die angekündigten 30.000 Isländer waren schlussendlich rund 15.000, aus zehn Prozent der Bevölkerung wurden fünf – auch nicht schlecht. Die Ausgangslage der Insulaner hatte sich zum Positiven verändert, ein Unentschieden, und ab ins Achtelfinale.

Für Österreich war alles gleich geblieben, der Sieg war alternativlos. Und zunächst auch das Glück. Denn nach kaum zwei Minuten traf Johann Gudmundsson von Gegenspielern unbehelligt per Weitschuss die Latte.

Die Verschreckten

War Goalie Robert Almer auch in dieser Szene die Ruhe selbst, so wirkte der Rest wieder völlig verschreckt. Linderung hätte Arnautovic bringen können, als er Goalie Hannes Thor Halldorsson den Ball abjagte, vor dem Schuss aber auf dem wirklich sehr üblen Rasen ausrutschte (11.).

Danach nahm die Fehlerquote der Österreicher eher noch zu. Eine jammervolle Anhäufung von Fehlpässen, technischen Schnitzern und Missverständnissen gipfelte im fast logischen Rückstand. Nach einem weiten Einwurf und Vorarbeit von Kari Arnason netzte der von Sebastian Prödl und Martin Hinteregger vernachlässigte Kaiserslautern-Stürmer Jon Dardi Bödvarsson zur Führung (18.).

Den Nackenschlag nahm vor allem Arnautovic nicht hin, der zweimal das Tor der Isländer belästigte. Und dann die goldene Chance: Nach einem Eckball versucht Ari Fryr Skulason Alaba am Arm zu arretieren. Im Strafraum geht das gar nicht, weshalb der polnische Schiedsrichter Szymon Marciniak auf Elfmeter entschied. Dass Aleksandar Dragovic anzutreten hatte, war ein wenig unverständlich. Dass er den Ball an die Stange setzte (37.), passte zum Bild des Jammers.

Mit dem Rücken zur Wand kehrte Koller zu business as usual zurück, ja, er riskierte, brachte mit Marc Janko und Alessandro Schöpf zwei Offensive statt der defensiven Prödl und Stefan Illsanker, stellte das alte System aber wieder her. Das wirkte wie eine Sauerstoffdusche. Zuversicht kam auf, wurde auf den Rängen geteilt und von Alaba befeuert. Seinen Schuss konnte Arnason für seinen Goalie gerade noch vor der Linie entschärfen (47.). Gleich im Anschluss fiel Sabitzer im Strafraum über den schon einmal patschert attackiert habenden Skulason, diesmal blieb Marciniaks notwendiger Elferpfiff zur Empörung der Österreicher aber aus.

Der Stachel

Das stachelte eher an. Österreich machte Druck, vor allem über Arnautovic und Schöpf. Und der Tiroler von Schalke, der erst spät auf den EM-Zug aufgesprungen und als einer der wenigen in Form nach Frankreich gereist war, stärkte die Zuversicht des Anhangs im Stade de France und in den Fanzonen österreichweit. Nach Doppelpass mit Alaba netzte der 22-Jährige überlegt (60.) – als erst zweiter Österreicher bei einer EM nach Ivica Vastic (2008 beim 1:1 gegen die Polen). Noch blieb eine halbe Stunde für die Rettung des Turniers.

Freilich fanden die Isländer nun Platz für Konter, aber auch Österreich griff nach dem Sieg. Schöpf scheiterte, weil er nach Pass von Janko alleine vor Goalie Halldorsson den Ball nicht mehr entsprechend heben konnte (72.). Alaba setzte einen Freistoß knapp über die Latte (81.). Danach wurde die Brechstange ausgepackt, fand aber keinen richtigen Ansatzpunkt mehr. Die Isländer fanden dagegen noch das totale Glück. Neo-Rapidler Arnor Traustason schloss einen Konter zum Sieg und zum zweiten Gruppenplatz ab (94.). (Christian Hackl aus St. Denis, 22.6.2016)

EM-Gruppe F, 3. Runde, Mittwoch

Island – Österreich 2:1 (1:0)
St. Denis, Stade de France, 65.700 Zuschauer, SR Marciniak (POL)

Tore:
1:0 (18.) Bödvarsson
1:1 (60.) Schöpf
2:1 (94.) Traustason

Island: Halldorsson – Saevarsson, Arnason, R. Sigurdsson, Skulason – Gudmundsson (86. Ingason), Gunnarsson, G. Sigurdsson, B. Bjarnason – Bödvarsson (71. E. Bjarnason), Sigthorsson (80. Traustason)

Österreich: Almer – Prödl (46. Schöpf), Dragovic, Hinteregger – Klein, Baumgartlinger, Ilsanker (46. Janko), Fuchs – Alaba – Sabitzer (78. Jantscher), Arnautovic

Gelbe Karten: Skulason, Sigthorsson, Arnason, Halldorsson bzw. Janko