Eines der 26 Plakatsujets des Fotografen Wolfgang Tillmans, die zum Verbleib in der EU aufrufen. Auf diesem hier steht: "Was verloren ist, bleibt für immer verloren."

Wolfgang Tillmans

Ein Brexit könnte das Ende der EU bedeuten, wie der im deutschen Remscheid geborene und seit 20 Jahren zeitweilig in London lebende Wolfgang Tillmans überzeugt ist. 2000 bekam er als erster Fotograf und Nichtengländer den renommierten Turner Prize verliehen. Nicht nur dieses Karriereturbos wegen fühlt er sich dem Vereinigten Königreich und der europäischen Idee verbunden.

Gemeinsam mit seinem Team entwarf er 26 Plakatsujets, die zum Verbleib in der EU aufrufen. Downloadbar über seine Website, kursieren sie seit dem Start seiner Kampagne im April. Der Glaube an ein vereintes Europa motivierte auch andere Kulturschaffende. Knapp 300 wandten sich in einem offenen Brief über den "Telegraph" an die Bevölkerung, Schauspieler, Musiker oder Künstler, etwa Tracey Emin oder der gebürtige Inder Anish Kapoor. "Von der kleinsten Galerie bis zum größten Blockbuster haben viele von uns an Projekten gearbeitet, die ohne EU-Förderung oder internationale Zusammenarbeit nie stattgefunden hätten", rief man in Erinnerung.

Statt Europa den Rücken zu kehren, solle man es weiter mitentwickeln, betont auch der gebürtige Liverpooler Antony Cragg, der Deutschland zur Wahlheimat erkor. Bei allem Verständnis für die Ablehnung der Brüsseler Bürokratie profitiere er als Künstler davon, in Kontinentaleuropa zu leben und zu arbeiten.

EU-Regulierungswut führt zu Austritts-Liebäugeleien

Und wie sieht es der Kunstmarkt als Teil der Wirtschaftselite? Das "Handelsblatt" zitierte jüngst Anthony Browne, den Vorsitzenden der British Art Market Federation, dem zufolge wegen der EU-Regulierungswut teils mit dem Austritt geliebäugelt würde. Die Kontrolle über die eigene Gesetzgebung (etwa Folgerecht, Mehrwertsteuer) könne die Wettbewerbsfähigkeit am Weltmarkt erhöhen, eine Meinung, die nur bedingt geteilt wird, da man von der Harmonisierung auch profitierte. Protagonisten, die den lokalen Markt bedienen, befürworten den Austritt eher als global agierende Unternehmen. Die Rolle des Weltmarktführers trat man ohnedies längst an die USA ab. Deren Anteil liegt derzeit bei 43 Prozent, jener des Vereinigten Königreichs (UK) bei 21 Prozent, eine Entwicklung, die auf dem Wachstum des Marktes bei zeitgleicher Entfaltung neuer Handelszentren (u. a. China) basiert.

2015 belief sich der im UK erwirtschaftete Umsatz auf 13,39 Milliarden Dollar. Der überwiegende Teil der gehandelten Kunst wird importiert, 35 Prozent aus den USA, 22 Prozent aus der Schweiz. Bei den Exporten wandern 62 Prozent in die USA ab und weitere 20 Prozent in die Schweiz. Daran dürfte sich in absehbarer Zeit kaum etwas ändern.

Die aktuellen Umsätze sind jedoch rückläufig, wie das Beispiel Sotheby's belegt: 2015 summierten sich die von Jänner bis Ende Mai in London abgehaltenen Auktionen auf gut 717 Millionen Dollar, heuer spielte man in diesem Zeitraum nur knapp 405 Millionen ein, ein Rückgang, der nicht nur dem Brexit-Gespenst, sondern der weltwirtschaftlichen Entwicklung geschuldet ist, die diesen Handelszweig samt zyklischer Investitionslust und -schwäche immer schon im Negativen wie im Positiven tangierte. (Olga Kronsteiner, 22.6.2016)