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Mit Ärger über die politische Klasse traf Viginia Raggi den Nerv der Wähler. Schlechte Stimmung könnte auch Premier Renzi schaden.

Foto: AP/Alessandro Di Meo

"Heute haben die Römer gewonnen; ich danke allen, die mir dieses wichtige Amt anvertraut haben", erklärte Virginia Raggi am späten Sonntagabend, als ihr triumphaler Wahlsieg feststand. Zumindest ein Wahlrömer wird sich nicht freuen: Premier Matteo Renzi, für den das Ergebnis der Stichwahlen in Italiens Großstädten eine massive Niederlage ist.

Neben Rom, wo Raggi sich von Beppe Grillos Protestbewegung Movimento 5 Stelle (M5S) mit 67,2 Prozent gegen den Mitte-links-Kandidaten Roberto Giachetti durchsetzte, verlor Bürgermeister Piero Fassino von Renzis sozialdemokratischer Partito Democratico (PD) überraschend auch in Turin gegen Chiara Appendino (M5S) deutlich. In Mailand und Bologna gab es knappe Siege für die PD-Kandidaten. In Neapel wurde Bürgermeister Luigi De Magistris wiedergewählt. Dieser steht zwar links, ist aber ein Kritiker des Premiers.

Märchenhafter Aufstieg

Mit Raggis Sieg in Rom war zwar gerechnet worden. Dass die junge Anwältin aber mehr als doppelt so viele Stimmen wie ihr PD-Konkurrent Roberto Giachetti erhielt, ist für Renzi ein schwerer Schlag. Sein Kandidat Giachetti ist Vizepräsident der nationalen Abgeordnetenkammer. Raggi ist nicht nur die erste Frau an der Spitze der Ewigen Stadt, sondern auch die jüngste Kandidatin, die dieses Amt je erobert hat.

Ihr Aufstieg wirkt beinahe märchenhaft: Im Frühling 2013 war sie noch mit 1515 persönlichen Präferenzstimmen in das Stadtparlament gewählt worden – nun hat sie in der Stichwahl um das Bürgermeisteramt 770.000 Stimmen erhalten, obwohl sie bis vor kurzem weitgehend unbekannt geblieben war. Das Resultat belegt, dass Raggi in der Drei-Millionen-Metropole auch hunderttausende Stimmen jenseits der Protestwähler gewinnen konnte, bei Bürgerlichen, aber auch bei Linken, die den Zentrumskurs von Regierungschef Renzi ablehnen.

Eine marode Stadt rebelliert

Virginia Raggi profitierte vom Versagen der traditionellen Parteien, welche die Stadt in den letzten Jahren heruntergewirtschaftet haben. Rom erstickt im Privatverkehr; die Busse kommen unregelmäßig, ebenso die Müllabfuhr. Heerscharen illegaler Händler und selbsternannter "Parkwächter" sowie die notorische und nie geahndete Falschparkerei erwecken bei den Bürgerinnen und Bürgern ein Gefühl von behördlicher Gleichgültigkeit und allgemeiner Illegalität. Auch Raggi war vor drei Jahren, wie sie sagte, nur deshalb in die Politik eingestiegen, weil sie sich als Mutter über den allgegenwärtigen Dreck und das Verkehrschaos geärgert hatte.

Ob sie dies in den nächsten fünf Jahren korrigieren kann, ist ungewiss. Im Wahlkampf hat sie "Transparenz", mehr Fahrradwege und neue Busse versprochen – ansonsten ist sie vage geblieben. Etwas peinlich wirkte etwa ihr Lavieren zur Kandidatur Roms für die Olympischen Spiele von 2024: Zunächst sagte sie, dass ein solches Projekt "kriminell" sei – um kurz darauf zu erklären, dass diese Frage in einer Volksabstimmung entschieden werden solle.

Lücken im Lebenslauf

Auch bei der Transparenz hat es die Kandidatin nicht so genau genommen. Ein Anwaltspraktikum in einer Kanzlei, die unter anderem Silvio Berlusconis Ex-Vertrauten Cesare Previti vor Gericht verteidigte, fehlte in ihrem Curriculum ebenso wie ein Mandat für ein dem postfaschistischen Ex-Bürgermeister Gianni Alemanno nahestehendes Unternehmen.

Kurz vor der Stichwahl wurde außerdem bekannt, dass sie bei ihrer Kandidatur für das Stadtparlament – entgegen den gesetzlichen Vorschriften – verschwiegen hatte, dass sie als Anwältin einst einen öffentlichen Auftrag erhalten hatte. Raggis Antwort darauf: "Ich habe in meinem Leben eben immer gearbeitet. Und was kann Giachetti von sich sagen?"

Mit dem Satz hat die neue Bürgermeisterin punktgenau die Befindlichkeit der Stadt getroffen: Die Römerinnen und Römer haben die Nase voll von einer Politikerkaste, vor der sie meinen, dass sie sich immer nur um sich selbst dreht und sich auf Kosten der Steuerzahler selbst bereichert.

Diese Stimmung zieht sich auch durch das restliche Land – und Renzi erkennt, dass die Euphorie um ihn Ernüchterung gewichen ist. Neben M5S wittert auch die radikale Rechte Morgenluft. Lega-Nord-Chef Matteo Salvini brachte sich schon Sonntag in Stellung. "Die Wähler vertrauen Renzi nicht mehr", kommentierte er das Ergebnis. (Dominik Straub aus Rom, 20.6.2016)