Man nehme: a) einen guten Koch, der b) seine Montur lieber als Patron im Gastraum ausführt denn in der Küche, jedenfalls an ruhigeren Aprilwochentagen, und das c) jovialst mit einigem Charme und Witz. Am besten d) in einem schmucken, durchaus prominenten Eck der Stadt (hier: Meran).

Und, in Personalunion am besten, einen Koch, der e) Sinn für ein bisschen moderne, möglichst spektakulär wirkende Küchentechniken hat – oder, für das jeweilige Publikum, einigermaßen modern wirkende Optik. Wenn f) dieser Sinn nicht allzu weit geht.

Dieser Sinn für Spektakel lässt sich aber g) auch abfangen mit genügend Retrocharme in der Wirtshausausstattung. Und h) mit möglichst ausgiebigen Portionen, gern auch i)ntensiver gewürzt und verdichtet. Am besten j) unterstützt vom einen oder anderen, k) möglichst originellen Gruß aus der Küche vor und nach dem Bestellten. Dann werden durchaus ordentliche Preise l) nicht ganz so ordentlich wahrgenommen.

Ein Paradefall für die "Hall of Fame"

Andrea Fenoglio in Südtirol ist ein Paradefall dieses – hier viel zu grob skizzierten – Schemas für den Tripadvisor, und so klebt denn auch an seinem Wirtshaus "Sissi" ein "Hall of Fame"-Pickerl des Empfehlungsportals. Soll heißen: über (zumindest) fünf Jahre überdurchschnittlich begeisterte Gäste.

Ich werde auch nach fast zehn Jahren dieser kleinen, dreckigen Gastrokolumne garantiert nicht in die Hall of Fame der Foodfotografie aufgenommen. Aber vielleicht können Sie sich nach diesen Bildern – und meinen Kurzbefunden – trotzdem vorstellen, warum ich dem Tripadvisor lieber nicht folge. Und mich hier zum Beispiel von Meran nach Eppan aufmache, zu Herbert Hintner. Und für das gleiche Geld ein gutes Stück glücklicher aufbreche.

Aber ein bisschen Fantasie brauchen Sie schon, diesmal sogar ein bisschen mehr als sonst, bei diesen flauen Fotos...

Stamperl Pizza

Andrea Fenoglios Küche grüßt mit einem Stamperl "flüssige Pizza" – die feststofflich-traditionellere Form gibt es, wie Schmeck's-Leserinnen wissen, seit kurzem ganz gut in einem Fenoglio-Ableger namens 3-5-7. Schon okay.

Foto: Harald Fidler

Paprika-Gupferl

Die Bagna Cauda verweist auf Fenoglios Wurzeln im Piemont, und diese Peperoncini-Variante ist die vermutlich designteste Form des traditionellen Paprika-Sardellen-Antipastos in meinen Piemont-Jahrzehnten. Und nicht die schlechteste, muss ich zugeben.

Foto: Harald Fidler

Köhlerei

Ich darf vorstellen: "Der gedünstete Spargel, Ei im Ei à la Carbonara und schwarzer Trüffel". Was kann Fenoglio dafür, dass die Wunderbare Dotter so cremig nicht so mag? Bleibt mir mehr.

Das trübt allerdings auch ein bisschen den Gesamtbefund. Warum? Weil schon die selbst gewählten Portionen nicht gerade einfach zu bewältigen sind. Es gibt natürlich schlimmere Probleme als Sättigung, keine Frage.

Foto: Harald Fidler

Dekorative Kunst, wuchtig

Andrea Fenoglio riet mir, nach kurzem Augenschein meiner schmächtigen Statur, zu "Wildschwein-Tataki mit Balsamicovinaigrette und Pilzen".

"Fachwerk" hätte ein der Redaktion namentlich bekannter Gastrokritiker vor ein paar Jahren dazu gesagt, der sich selbst außer Dienst gestellt hat.

Mich stört ja die dekorative Kunst nicht so, auch das Ornament halte ich nicht zwingend für ein Verbrechen, aber das ist schon ziemlich verspielt. Und vor allem, Augen zu: Die Balsamicovinaigrette entwickelt eine mir doch zu große Wucht.

Foto: Harald Fidler

Das Salz an meinen Rufzeichen

Mir sind ja Rufzeichen schon suspekt, und gleich drei hintereinander ohnehin. Mich köderte Andrea Fenoglio also gekonnt mit den zwei Wörtern vor den "!!!" in der Speisekarte: "Traditionelles Gericht". Nämlich: "Die reichen ,Passatelli in Brodo'." Ich grüble seither, ob die dicken Teigwaren reich waren – oder die mir etwas salzig wirkende Brühe.

Foto: Harald Fidler

Erbsologie

Die Garnelen schön glasig, die Erbsensuppe von dicker Gewalt, die Wunderbare stöhnt schon ob der Üppigkeit, und ich muss die Sache auslöffeln. Es gibt ein paar schlimmere Aufgaben.

Foto: Harald Fidler

El Sud

Die Wunderbare, Hauptgang: "Das Rote-Meerbarben-Filet mit Meeresalgensud und Cannelli-Bohnenpüree". Untadeligster Fisch, auch und gerade in Meran. Und meinen Tippfehler "Meeresaltensud" hab' ich gerade noch entdeckt.

Foto: Harald Fidler

Wir wollen Die Nieren!

Fachwerk, wieder mal. Meckere ich gerade weiter. Und dann serviert man mir "Die Kalbsniere mit Spinat und Senfsauce", wie ich wirklich noch wenige dieses empfindlichen Organs erlebt habe. Schöne Überraschung, mitten im Meckern auf ohnehin durchaus ordentlichem Niveau.

Foto: Harald Fidler

Schöne Grüße, III

Hat eigentlich schon lang nicht gegrüßt, die Küche: Apfelstrudel mit Hang zum Spektakel. Muss ja nicht schlecht sein.

Foto: Harald Fidler

Passion

Ein Dessert muss dennoch sein, und mir scheint prototypisch: "Passionsfruchtkaviar mit Mangoeis und Mandelmilch". Zwei Begeisterte am Tisch – keine falsche Wahl, scheint mir aus der Perspektive.


Foto: Harald Fidler

Petitessen

Die Petits Fours lassen wir jetzt einfach mal so stehen.

Schließlich haben wir noch einiges vor auf dieser kleinen Tour de Force durch Südtirol. Bleiben Sie dran.

Knapp 30 Kilometer nach Süden...

Foto: Harald Fidler

Grazie Millefeuille

... wartet zum Beispiel dieses Millefeuille unter Spinat auf uns. Wir sind in der Rose im durchaus schmucken Eppan, das Lokal ein Stück weniger schmuck als die Meraner Sissi.

Aber da schau' ich, wenn ich mich entscheiden muss, doch lieber auf den Teller. Und koste.

Foto: Harald Fidler

Schlutz jetzt

Schlutzkrapfen. Schön.

Und ich meine nicht mein Foto. Aber es kommt noch schlimmer – fototechnisch.

Foto: Harald Fidler

Gemüsereis

Die Wunderbare sucht gern eine herausfordernde Perspektive auf Speisekarten. Also: Risotto mit Gemüsevariationen.

Sie befundet recht harsch, aber schlüssig: Der optisch wie inhaltlich schwächste Gang in der Auswahl. Ich finde: Noch immer sehr solide.

Foto: Harald Fidler

Wachtel, welt

Man erkennt es auf meinem Foto nicht gleich, aber: Die Wachtelbrust inmitten vielerlei Erbse und Spargel aus Terlan ist a) ziemlich kontemporär schön, und b) schlicht großartig gut.

Foto: Harald Fidler

Kloazn

Kloaznravioli mit Graukäse. Dörrobst verkäst – damit gewinnt man den Fidler. Aber selbst die Käseskeptikerin wirkt durchaus angetan.

Foto: Harald Fidler

Perlage

Ja, das war am Anfang der Spargelsaison, die man inzwischen doch wieder sehr durch hat. Aber die Perlhuhnbrust, von der sich die Wunderbare denn doch überzeugen ließ, wär schon von sich aus sehr überzeugend gewesen.

Sie blieb mir in großen Teilen, die Perlhuhnbrust, und ich würde nicht darüber schnaufen, wäre da nicht...

Foto: Harald Fidler

Taube

... diese wunderbare Taube gewesen. Mit Ackerlingen, angebratenem Chicoree und nicht näher defininerter, aber grundguter Rotweinsauce.

Der Vergleich, etwa zu Herrn Amadors süßem Vogel, macht mich sehr sicher.

Foto: Harald Fidler

Schmarrn

Musste noch sein: Soufflierter Topfenschmarrn mit Preiselbeeren und Sauerrahm-Eis. Sapperlot. Sag selbst ich.

Foto: Harald Fidler

Kühle Nuss

Und wenn da noch der eine oder andere Vertreter der Gattung Petits Fours daherkommt, wie dieses Walnuss-Semifreddo, beschwer' ich mich auch nicht.

Foto: Harald Fidler

Die Rechnung, bitte:

Ich frage mich nun, auch als kolumnenweit bekannter, da durchaus tripadvisor-kompatibler Preisleistungsesser: 157,50 Euro für sechs Gerichte in der Rose, mit einem Glas Wein und Kaffee, oder 189,50 Euro für sieben Gerichte bei Sissi, mit zwei Gläsern Wein und Kaffee?

Nein, ich frage mich nicht. Ich hab' auch noch nie auf Tripadvisor abgestimmt. Aber vielleicht wird's Zeit dafür. (Harald Fidler, 21.6.2016)

Foto: Harald Fidler