Wien – Hat "Österreich" mit dem Vater eines IS-Terroristen jenes Interview auch geführt, das die Zeitung veröffentlichte? "Österreich" und "Kurier" klagten einander zu der Frage – und bekamen, grob gesprochen, vom Oberlandesgericht Wien jeweils einmal Recht. Zuletzt der "Kurier".

"Österreich" klagte den "Kurier" vor dem Handelsgericht Wien, weil der behauptete, "Österreich" habe ein Interview mit dem Vater des IS-Terroristen erfunden. "Österreich" bekam Recht, weil einer seiner Redakteure tatsächlich mit dem Vater und dem Bruder gesprochen habe. Das Oberlandesgericht Wien bestätigte im Frühjahr 2016 wesentliche Teile der Entscheidung – mehr dazu hier.

In diesem Zivilprozess ist dem "Kurier" nach Ansicht des Oberlandesgerichts "der Wahrheitsbeweis nicht gelungen, "weil ein Telefonat stattfand, und die als Interview bezeichneten Artikel sinngemäß, aber nicht wortwörtlich die im Telefonat gestellten Fragen und gegebenen Antworten wiedergaben." Soweit der Zivilprozess.

Anders das Strafverfahren

Nun bekam der "Kurier" in derselben Causa ebenfalls Recht vom Oberlandesgericht Wien, diesmal als zweite Instanz nach dem Straflandesgericht Wien. Dort ging "Kurier"-Herausgeber Helmut Brandstätter gegen die "Österreich"-Headline "'Kurier' zahlte für Interview mit Vater des Terroristen" vor. Das war für das Straflandesgericht üble Nachrede und Verspottung Brandstätters. Das Oberlandesgericht bestätigte diese Entscheidung am 9. Juni, erklärt ein Gerichtssprecher auf STANDARD-Anfrage (der "Kurier" berichtete am Wochenende darüber).

Was ist noch ein Interview?

In der zweiten Entscheidung bewertet das Oberlandesgericht das Interview in Österreich anders. Es gebe zwar keine allgemein gültigen Regeln, was unter einem Interview zu verstehen wäre. Deshalb stehe aber Medien die Darstellungsform für Äußerungen Dritter nicht "gänzlich frei". Unter "Interview" verstehe der Konsument "zumindest, dass Fragen (in welcher Form auch immer) an den Interviewpartner gestellt wurden, die dieser (im wesentlichen mit dem wiedergegebenen Sinn) beantwortet hat."

"Interview nie stattfand"

Das war nach Ansicht beider Instanzen hier nicht der Fall – denn: Der "Österreich"-Redakteur hat zwar kurz mit dem Vater gesprochen, die Fragen aber einem weiteren Sohn gestellt, der auch die Antworten gab. Das Oberlandesgericht bestätigte die Feststellung des Straflandesgerichts laut Aussagen von Vater und Sohn, dass "kein Mitarbeiter der Tageszeitung Österreich mit Sami M. (dem Vater) ein Interview führte, insbesondere das am 8.8.2015 und 9.8.2015 veröffentlichte Interview nie stattfand", die "abgedruckten Fragen nie – weder in der veröffentlichten Form noch in einer leicht abgewandelten Form – an Sami M. gerichtet wurden, und zwar "weder unmittelbar in einem Telefongespräch zwischen Karl W. (Redakteur) und Sami M., noch indirekt bei einem später von Karl W. mit dem Sohn geführten Telefonat."

Das Oberlandesgericht bestätigte zudem, dass der Vater dem "Kurier" ein Interview gegeben hat und, so ein Sprecher über die Entscheidung, "dafür nicht gezahlt bekommen" hat.

Wie passt das zusammen?

Ein Sprecher des Oberlandesgerichts verweist darauf, dass "die Gerichte in ihren Entscheidungen frei" und nicht wechselseitig aneinander gebunden sind. Es gebe offenkundig keine einheitliche Definition, ab wann – besonders in einem Sachverhalt, der nicht so leicht in ein "Schwarz-Weiß"-Schema eingeordnet werden kann, von einem "Interview" gesprochen werden kann und ab wann man davon sprechen kann, ein Interview sei "erfunden worden" oder "habe nicht stattgefunden".

Zivilprozess vor Oberstem Gerichtshof

Im Zivilprozess geht es noch eine Runde weiter: Der Oberste Gerichtshof wurde angerufen, erklärt der Sprecher des Oberlandesgerichts. (red, 21.6.2016)