Stefan Herheim zeigt bei "Pique Dame", dass er nicht nur tiefsinnig in Werke eintauchen kann – er schafft auch markante Bilder.

Foto: Holland Festival

Das Vorspiel zur Oper Pique Dame wird hier quasi zum Nachspiel. Ein älterer Mann steht etwas mühsam auf, ein jüngerer mit langen Haaren folgt ihm. Hinter plüschigem Mobiliar ging es offenbar grade heftig zur Sache. Irgendwie erinnert der Alte an Komponist Peter Iljitsch Tschaikowsky. Kurze Zeit später tauchen unzählige weitere Tschaikowskys auf, sogar manch weibliches Wesen trägt – via Perücke – die Züge des russischen Komponisten.

Nationale Opera & Ballet

Regisseur Stefan Herheim inszeniert – wieder einmal – ein Spiel mit Vervielfachungen, Brechungen und Überlappungen von Personen wie Identitäten. Und dies funktioniert (im Gegensatz etwa zu Herheims Hoffmanns Erzählungen in Bregenz) bei diesem grob geschnitzten, leicht kolportagehaften Stück perfekt.

Sehr spannend

Es ist tatsächlich sehr spannend zu beobachten, wie der Komponist mit seiner Oper und seinen Figuren ringt, wie er emotional und real darüber reflektiert, ob die junge Lisa nicht vielleicht doch etwas für ihn wäre. In sie hat sich der spielsüchtige Hermann verliebt, allerdings ist sie eigentlich nicht frei, weil dem Fürsten Jeletzky versprochen.

Und genau dieser geistert als "zentrales" Tschaikowsky-Double unentwegt durch die verschiedenen Situationen und Räume dieser Inszenierung. Philipp Fürhofer schuf für Stefan Herheims Assoziationstheater einen Salon mit Kamin, edlen Sitzgelegenheiten und (gemalten) Bücherwänden, der sich öfter gleichsam auflöst. Dann scheint helles Licht durch die Regale, und es entstehen fantastische Raumwirkungen, Spiegelungen und surreale Kippmomente.

Wissen um Geheimnis

Tschaikowsky/Jeletzky singt oft unhörbar mit, er tanzt gelegentlich ein wenig, oder er setzt sich gar an einen Flügel. In diesem wird später übrigens die alte Gräfin beerdigt – sie weiß um das Geheimnis der drei Karten und will es Hermann nicht verraten. Mühelos befreit Stefan Herheim die Oper Pique Dame von Schmock und Pomp, gerade weil er diesen gebrochen historisierenden Blick darauf wirft.

Am Ende gibt es vier Tote, neben der Gräfin ist die freiwillig aus dem Leben geschiedene Lisa zu beklagen, Hermann erschießt sich selbst, und Jeletzky/Tschaikowsky fällt ebenfalls tot um. Vorher trinkt er allerdings noch eine weiße Flüssigkeit, eine Anspielung auf das mit Cholerabakterien verseuchte Glas Wasser, an dem Tschaikowsky vermutlich wirklich starb.

Vladimir Stoyanov mimt und singt diese Partie mit kraftvoll würdigem Bariton, Misha Didyk ist ein leichter und angenehm timbrierter Hermann, Svetlana Aksenovas Lisa besitzt Anmut, ein paar vokale Schärfen passen durchaus ins Bild.

Morsches aus dem Süßlichen

Der lettische Dirigent Mariss Jansons, der also wieder Oper dirigiert und dies wahrscheinlich in den kommenden Jahren auch bei den Salzburger Festspielen tun wird, arbeitet am Pult des Concertgebouw Orchesters, dem er lange Jahre als Chef verbunden war, viele Finessen der Partitur heraus.

Und Jansons tut dies, ohne den romantischen und also ausladenden Überbau des Werks zu vernachlässigen. Gelegentlich tönt es unter dem Süßlichen ziemlich morsch und rau. Man konnte gut beobachten, wie freundlich-freundschaftlich einander Maestro und Musiker zugetan sind. Ein Meisterstück diesseits und jenseits der Bühne, das mit tumultuosem Beifall gefeiert wurde. (Jörn Florian Fuchs aus Amsterdam, 20.6.2016)