Im Internet ist rechtlich vieles unklar, da es noch keine richterlichen Entscheidungen gibt, wie etwa die Verbreitung von Sexvideos zu beurteilen ist. Die Opfer (Symbolfoto) leiden oft jahrelang.

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Wien – Als Sarah S. das erste Mal von diesem Video von sich hörte, dachte sie, es müsse sich um einen schlechten Scherz handeln. Eine Bekannte hatte sie angerufen, "du solltest wissen, was da von dir im Internet kursiert", habe die gesagt, erzählt die junge Frau. "Du bist da nackt zu sehen."

Am darauffolgenden Tag bekam S., damals 18 Jahre alt, Facebook-Nachrichten von fremden Männern. "Bist du das?", fragte einer. "Geiles Video", ließ ein anderer sie wissen. "Billiges Ding", kommentierte ein Dritter. Insgesamt wurde S. von fast fünfzig Menschen angeschrieben, denen sie noch nie begegnet war – die aber behaupteten, schon einiges von ihr gesehen zu haben. "Ich hab plötzlich keine Luft mehr bekommen, nur mehr geweint", erinnert sie sich. Das Video kannte sie zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht.

Durch Video vom Vorfall erfahren

S. vertraute sich ihrer Mutter an, sie suchten sich eine Anwältin. Heute, zehn Monate später, wird S. von der Staatsanwaltschaft als Beschuldigte geführt.

Begonnen hat alles im Sommer 2013. Das genaue Datum lässt sich nicht eruieren. S. sagt, sie habe an diese Nacht keine Erinnerung, wurde vermutlich unter Drogen gesetzt. Erst durch das Video habe sie von dem Vorfall erfahren.

Der Anwalt der Gegenseite schildert den Sachverhalt folgendermaßen: Sein Mandant habe die damals 16-jährige S. in einer steirischen Disko getroffen, die beiden kannten sich flüchtig. Es war spät, beide hätten etwas getrunken. S. habe dem jungen Mann "schöne Augen gemacht", ihm Bilder gezeigt, auf denen sie in Unterwäsche zu sehen ist und schließlich angeboten, dass er sie auch so ablichten dürfe. S. hält das für ausgeschlossen.

Versenden tue ihm leid

Jedenfalls fuhren die beiden zum Elternhaus des Burschen. Auf der Terrasse entstand gegen fünf Uhr morgens ein 52-sekündiges Video, von dem S. sagt, dass es ihr Leben zerstört hat. Der Anwalt der Gegenseite schreibt: "Sie hatte großen Spaß dabei, alle Handlungen erfolgten freiwillig."

Leid tue seinem Mandanten, dass er die Aufnahme rund zwei Jahre später zwei Freunden geschickt habe – die sie weiterschickten an Leute, die sie wiederum verschickten. Das Video wurde in Social-Media-Gruppen von Sportvereinen, Schulklassen und Bundesheerbediensteten verbreitet, auf Festen herumgezeigt, sagt Michaela Hämmerle, die Anwältin von S.

"Aussage gegen Aussage"

Im Zivilprozess einigten sich beide Parteien auf einen Vergleich. S. bekam 5500 Euro. "Damit hat sie sich verpflichtet, nicht weiter gegen meinen Mandanten vorzugehen", sagt Hans-Moritz Pott, Anwalt der Gegenseite. Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren gegen den jungen Mann eingestellt. Sexueller Missbrauch sei nicht "mit erforderlicher Sicherheit" nachzuweisen. Ob er sich der pornografischen Darstellung einer Minderjährigen schuldig gemacht hat, sei unklar, da Aussage gegen Aussage stehe – nämlich die von Sarah S. gegen seine -, ob er ihr Alter kannte.

Fakt ist, dass sich dieses Video nicht mehr aus der Welt schaffen lassen wird. Niemand weiß, wo es überall gespeichert ist. Hinkt unser Strafrecht den Möglichkeiten, die das Internet bietet, einen Menschen dauerhaft zu schädigen und zu demütigen, also hinterher?

Cybermobbing-Paragraf

Seit Anfang des Jahres gibt es einen sogenannten "Cybermobbing" -Paragrafen. Durch ihn ist nun geregelt, dass Bildaufnahmen des höchstpersönlichen Lebensbereichs ohne Zustimmung der betroffenen Person nicht verbreitet werden dürfen – zumindest, wenn sie dadurch "über eine längere Zeit hindurch fortgesetzt" für "eine größere Zahl von Menschen wahrnehmbar gemacht" werden.

Genau das ist womöglich der Haken der Regelung: "Es gibt diesbezüglich noch keine veröffentlichte Entscheidung", sagt Klaus Schwaighofer, Strafrechtler an der Universität Innsbruck. "Es ist nicht klar, ob dadurch nun gerade jene strafwürdigen Fälle erfasst sind, bei denen Fotos oder Videos durch eine einmalige Handlung ins Internet gestellt und dadurch weiter verbreitet werden."

"Juristisches Neuland"

Auf den Fall Sarah S. lässt sich dieses Gesetz vorerst ohnehin nicht anwenden, weil es erst nach dem Tatzeitpunkt inkraft trat. Doch selbst wenn, könnte hier das Problem sein: Der Videoersteller sagt, er habe die Aufnahme lediglich an zwei Personen versendet.

"Das ist juristisches Neuland, aber dieser Fall könnte eine generalpräventive Wirkung haben", ist Hämmerle überzeugt. "Mit etwas Engagement hätte die Staatsanwaltschaft die Causa zum Prozess bringen können." Sie wird nun einen Fortführungsantrag stellen und argumentieren, dass es sich um ein "Dauerdelikt" handelt, weil durch die Verbreitung ein Schneeballeffekt eingesetzt hat, der sich nicht mehr stoppen lässt.

Anklagebehörde prüft Verleumdung

Die Anklagebehörde hat nun indessen Sarah S. ins Visier genommen: Weil sie sagt, der Videoersteller habe gewusst, dass sie damals minderjährig war, wird sie der Verleumdung bezichtigt. Kommt es zu einer weiteren Verhandlung, hat der gegnerische Anwalt angekündigt, erörtern zu wollen, was "S. für eine ist". (Katharina Mittelstaedt, 19.6.2016)