Zehn Prozent der deutschen Bevölkerung sind der Meinung, der "Einfluss der Juden" sei "auch heute noch zu groß", 9,5 Prozent denken, Juden arbeiteten "mehr als andere Menschen mit üblen Tricks". Die am Mittwoch von Forschern der Universität Leipzig präsentierte Studie "Die enthemmte Mitte", für die 1917 West- und 503 Ostdeutsche befragt wurden, untersucht rechtsextreme und antidemokratische Einstellungen in der Bevölkerung.
Erstmals befasst sich die seit 2003 im Zweijahresrhythmus erscheinende "Mitte-Studie" auch ausführlich mit den neuen Rechtsbewegungen "Alternative für Deutschland" (AfD) und Pegida ("Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes").
Schwerpunkt Ostdeutschland
Die oben erwähnten "Judenfragen" sind einige der wenigen Aspekte, in dem sich Ost- und Westdeutsche praktisch einig sind. Sonst sind rechtsextreme Einstellungen in der ehemaligen DDR weiter verbreitet: So sind dort fast 40 Prozent der Ansicht, Ausländer kämen "nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen", im Westen waren es gut 30 Prozent.
Besonders anfällig sind der Studie zufolge Männer, Arbeitslose und Pensionisten, Umfrageteilnehmer, die zumindest eine Höhere Schule abgeschlossen haben, stimmten deutlich seltener zu.
Auch die Haltung zu Homosexuellen wurde abgefragt: 40 Prozent stimmen der Aussage zu, es sei ekelhaft, wenn sich Schwule oder Lesben in der Öffentlichkeit küssen, 25 Prozent der Befragten finden Homosexualität generell "unmoralisch". Damit hat sich die Zustimmung zu diesen Aussagen seit 2014 verdoppelt.
Oliver Decker, einer der Autoren der Studie, erklärte gegenüber dem "Spiegel", 90 Prozent der Menschen sähen ihren politischen Standpunkt in der Mitte. Allerdings würden antidemokratische Positionen immer stärker.
Das geschlossene rechtsextreme Weltbild
Deutlich vorn liegt Ostdeutschland mit 7,6 Prozent der Anteil der Befragten, die allen sechs Dimensionen der rechtsextremen Einstellung zustimmen – Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur, Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus. Im Westen sind es 5,4 Prozent.
Ressentiments gegen Muslime haben deutlich zugenommen: Die Hälfte der Bevölkerung gab an, sich "durch die vielen Muslime (...) manchmal wie ein Fremder im eigenen Land" zu fühlen. 2014 waren es 43 Prozent.
Mehr als 40 Prozent der Deutschen sind der Meinung, Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden (2014: 36,6 Prozent). Auch die Vorbehalte gegenüber Asylwerbern sowie Sinti und Roma haben laut der Studie zugenommen: So wollen 50 Prozent diese Bevölkerungsgruppe aus Innenstädten verbannen.
"Verschwörungen dunkler Mächte"
Besonders verbreitet sind solche Positionen demnach unter AfD-Unterstützern, bei Pegida-Anhängern kommt Studienautor Elmar Brähler zufolge noch die Angst vor "Verschwörungen dunkler Mächte" dazu. Mit den "patriotischen Europäern", die jeden Montag durch Dresden ziehen, taten sich die Forscher besonders schwer, da diese nicht mit Journalisten und Wissenschaftern sprechen wollen: "Es ist zu vermuten, dass insbesondere der harte Kern von Pegida die Interviews verweigert", ist in der Studie zu lesen. Deswegen untersuchten die Autoren die Einstellung von Personen, die angaben, die Ziele von Pegida zu unterstützen.
Am niedrigsten ist die Zustimmung zu den Zielen von Pegida unter denen, die Abitur (Matura) oder einen Studienabschluss haben. Mit niedrigerem Bildungsabschluss steigt die Wahrscheinlichkeit der Zustimmung und ist am höchsten bei denen mit einem Abschluss der Polytechnischen Oberschule.
Kein Unterschied zwischen Stadt und Land
Männer befürworten Pegida durchschnittlich etwas häufiger als Frauen, Ostdeutsche etwas öfter als Westdeutsche. Ob Personen in der Stadt oder auf dem Land wohnen, steht dagegen in keinem Zusammenhang mit der Befürwortung der Pegida-Ziele, und auch das Alter steht nicht in signifikantem Zusammenhang.
Knapp die Hälfte der deutschlandweit Befragten lehnt die Ziele von Pegida "ganz" oder " eher" ab. Unterstützt werden die Pegida-Forderungen von Deutschen, die rechtsextreme und islamfeindliche Einstellungen vertreten. Die Studie steht damit in direktem Widerspruch zu den Ergebnissen des Politologen Werner J. Patzelt, der noch 2015 die Ansicht geäußert hatte, Pegida ließe sich eben nicht auf das Deutungsschema "Ausländerfeindlichkeit" und "Islamfeindlichkeit" reduzieren. (red, 15.6.2016)