Immer wenn ich mit jüngeren Feminist_innen diskutiere, dauert es nicht lange, und es kommt die Frage, ob meine Art, über Frauen und Männer zu sprechen, nicht "binär" wäre. Ich möchte hier einmal aufschreiben, warum ich das nicht finde.
Ein "binäres" Verständnis von Geschlecht geht ja davon aus, dass es genau und nur zwei Geschlechter gibt, männlich und weiblich. In dieser binären Logik ist "Frau" gleichbedeutend mit "nicht Mann" und andersrum "Mann" gleichbedeutend mit "nicht Frau".
Genau dieser Auffassung bin ich nicht. Ich interessiere mich für die Freiheit der Frauen, das ist mein politisches Anliegen: die Freiheit der Frauen zu vergrößern. Dafür ist es logisch wichtig, dass es Frauen gibt, aber nicht, diese binär zu denken, also als Gegenstück zum Mann. Ganz im Gegenteil: Ich unterscheide zwischen "Frauen" und "Nicht-Frauen". Die "Nicht-Frauen" können alle möglichen Geschlechter haben. Es ist mir vollkommen egal, ob es zwei, fünf, oder dreihundert Geschlechter gibt – Hauptsache, es gibt nicht nur eines (denn Eingeschlechtlichkeit ist immer männlich), und ein Geschlecht davon ist meines, das weibliche.
Es gibt keine Skala von männlich bis weiblich
"Frauen" definiere ich überhaupt nicht inhaltlich, und schon gar nicht als Gegenstück, Komplementäres oder Gleiches des Mannes. Das Frausein ist eine Evidenz, die nicht näher begründet oder erklärt werden muss, es genügt, sie zu konstatieren – etwa durch einen Satz wie: "Ich bin eine Frau" oder dadurch, dass man "als weiblich gelesen" wird und nicht widerspricht.
Frausein ist das, was ich bin, Frausein ist das, was Frauen tun. Frausein hat keine weitere inhaltliche Bestimmung, und schon gar keine, die in Beziehung auf andere Geschlechter definiert ist. Das heißt: Für das, was Frausein bedeutet, ist es vollkommen unerheblich, ob Männer (oder andere Geschlechter) dasselbe oder etwas anderes tun.
Eine Vorstellung oder Beschreibung von Geschlecht als "Skala", deren Enden Männlichkeit und Weiblichkeit darstellen und dazwischen gibt es fließende Übergänge, lehne ich explizit ab. Ich halte eine solche Vorstellung für gefährlich, was die Freiheit der Frauen betrifft. Denn sie stellt uns vor die Wahl, entweder "weiblichkeitskonform" zu sein oder unsere Weiblichkeit aufs Spiel zu setzen. Denn im Bild der Skala kann ich mich nur vom bestehenden Weiblichkeitsklischee entfernen, indem ich mich dem "männlichen Ende" der Skala annähere. Mir ist aber wichtig, dass die Erweiterung dessen, was Frausein bedeutet, in alle möglichen und denkbaren unerforschten Richtungen gehen kann. Allerhöchstens zufällig geht sie hin und wieder auch einmal in Richtung auf das Männliche zu.
Aneignung, nicht Angleichung
Wenn ich Kuchen backe, ist das genauso "weiblich" wie mein aggressives Diskussionsverhalten. Und sogar mein Testosteron ist weiblich, wie ich mir neulich aufs T-Shirt druckte: Denn es ist das Testosteron einer Frau. Alles, was ich tue, ist zu 100 Prozent weiblich. Und ich bestreite, dass Männer irgend etwas "weibliches" an sich haben können – was nicht bedeutet, dass sie nichts von Frauen lernen könnten, für meinen Geschmack müssten sie das viel öfter tun. Aber eben, indem sie sich die dort abgeschauten Verhaltensweisen aneignen und dann eben NICHT mehr als weiblich verstehen. So wie die Frauen, als sie in Europa anfingen, Hosen zu tragen: Sie machten aus einem bis dahin männlichen Kleidungsstück ein weibliches. So funktioniert das.
Männlichkeit als Insitution
Wenn ich also in Vorträgen und Texten von "Frauen" spreche, dann meine ich nicht Nicht-Männer, sondern eben: Frauen. Wenn ich zum Beispiel einen Begriff verwende wie "weibliche Souveränität", dann bedeutet das nicht, dass Männer oder andere Geschlechter diese Souveränität nicht haben könnten. Sondern es bedeutet, dass ich hier von etwas spreche, das Frauen betrifft. Die Frage, ob es auch andere Leute betrifft, ist davon ganz unabhängig, das bleibt abzuwarten, zu sehen, zu untersuchen. So wie der Satz "Frauen essen Gemüsesuppe" ganz unabhängig davon wahr oder falsch ist, ob auch Männer oder andere Geschlechter Gemüsesuppe essen oder nicht.
Dasselbe gilt andersherum, wenn ich von Männern spreche, zum Beispiel sage: "Die parlamentarische Demokratie ist eine von Männern erfundene Institution." Damit konstruiere ich nicht Männer binär als Gegenstück zu Frauen, sondern ich konstatiere eine Tatsache. Ich drücke damit aus, dass die "Männlichkeit" in der Entstehungsgeschichte dieser Institution von Bedeutung ist, und nichts Nebensächliches. Und ich sage, dass inwiefern das alles auch für Frauen (und andere Geschlechter) relevant ist, nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann, sondern mit offenem Ausgang diskutiert werden muss.
Das Verhältnis zur Welt
Das Missverständnis kommt vielleicht daher, dass es im Queerfeminismus – aus dem heraus mir der Vorwurf der "Binarität" oft entgegenkommt – vor allem um das Verhältnis geschlechtlicher Identitäten zueinander geht. Mich interessiert das jedoch weniger, mein Thema ist das Verhältnis von Geschlecht und Welt. Das heißt, ich spreche, wenn ich die Wörter "Frauen" und "Männer", "weiblich" oder "männlich" benutze, über das Verhältnis von Frauen zur Welt und über das Verhältnis von Männern zur Welt – und nicht, oder gewissermaßen nur "über Bande", über ihr Verhältnis zueinander oder zu anderen Geschlechtern. (Antje Schrupp, 17.6.2016)