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Angela Merkel trug bei ihrer Rede in Peking den Talar ihrer gerade verliehenen Ehrendoktorwürde der Universität Nanjing.

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Peking – In einem Rechtsstaat, sagt Angela Merkel, muss es "Freiräume geben". Die deutsche Bundeskanzlerin spricht vor 300 Studenten in einem großen Hörsaal der Universität der Pekinger Akademie der Wissenschaften. Wie solche Freiräume beschaffen sein müssten, lässt sie offen. Denn jeder weiß, dass China alle Freiräume immer mehr einengt.

Merkel wägt ihre Worte ab, aber so, dass sie jeder versteht. Sie trägt einen rot-schwarzen Talar, die Tracht für ihre gerade verliehene Ehrendoktorwürde der Universität Nanjing. 2007 hatte Merkel die renommierte Hochschule zuletzt besucht, die seit 1988 gemeinsam mit der Universität Göttingen ein Deutsch-Chinesisches Institut für Rechtswissenschaften betreibt. Laut Rektor Ding Zhongli erhalte sie die Ehre nachträglich wegen ihrer Verdienste um die Beziehungen und wegen ihrer unermüdlichen Versuche, Konfliktlösungen für den Weltfrieden zu finden. Und dann kommt das Wort: Auch wegen ihrer "pragmatischen Chinapolitik."

Es ist Merkels neunter China-Aufenthalt. Sie hat gelernt, ihre Probleme mit der Volksrepublik zu formulieren, ohne den Adressaten direkt zu nennen. Merkel spricht durch die Blume. Als Kern der Rechtsstaatlichkeit nennt sie, dass die "Stärke des Rechts gilt, nicht aber das Recht des Stärkeren."

Überbrückbare Differenzen

Der Besuch bei der Akademie bildet den Auftakt von Merkels dreitägiger Visite, bei der sie von ihrem halben Kabinett begleitet wird. Differenzen hält sie für überbrückbar – und sie spricht sie alle an. Etwa die Spannungen im Ost- und Südchinesischen Meer. "Die Aufrechterhaltung der Stabilität" liege im Interesse aller Länder. Merkel weiß natürlich, dass Pekings Führung, die ihren territorialen Anspruch auf die umstrittenen Meeresgebiete durchboxt, es hasst, wenn sich Europa einmischt. Merkel sagt nur, sie wolle "pragmatische Lösungen anstreben, dort wo unterschiedliche Ansichten bestehen."

Auch das Anfang 2017 in Kraft tretende Gesetz zur Einschränkung ausländischer Nichtregierungsorganisationen (NGOs) kommt zur Sprache. Künftig sollen diese unter Polizeikontrolle gestellt werden, Merkel spricht sich dafür aus, hier noch nachzubessern: "Das neue NGO-Gesetz sollte es möglich machen, dass zivilgesellschaftliche Organisationen unsere Zusammenarbeit bereichern können."

Freundlicher Empfang

Trotz mancher Differenzen: Peking kündigte Merkels Besuch auffallend freundlich an. Die "Volkszeitung" begrüßte die Kanzlerin am Sonntag mit einem langen Portrait und einem vorteilhaftem Jugendbild. Tageszeitungen wie "Beijing News" erschienen vorab mit einer ganze Seite zum Besuch.

Angela Merkel ist in Peking auch deshalb willkommen, weil sie 2017 Gastgeberin für den G20-Gipfel in Deutschland sein wird, genau ein Jahr, nachdem China erstmals in diesem September den G20-Gipfel in Hangzhou veranstaltet. Peking sieht in den G20 eine Chance, weltpolitisch den Ton angeben zu können, und möchte sich mit Berlin auf eine gemeinsame Agenda verständigen. Im bilateralen Gepäck hat Merkel 110 Langzeit-Vereinbarungen aus dem Aktionsplan der letzten deutsch-chinesischen Kabinettsrunde von 2014 dabei. Vor allem geht es um die Zusammenarbeit in Hochtechnologiebereichen wie der deutschen "Industrie 4.0" und Pekings Aufholstrategie "China 2025".

Schwierige Wirtschaftsthemen

Doch zwischen Peking und Berlin knirscht es im Gebälk. Während der deutsche und europäische Markt chinesischen Investoren offensteht, die Häfen, Airports, Wasserwerke, Fußballvereine oder Banken übernehmen, sind solche Aufkäufe in China Ausländern verboten.

Der deutsche Botschafter Michael Clauss hat in einem Kommentar für die Hongkonger Zeitung South China Morning Post den Begriff "Aittac" geprägt. Es ist die Abkürzung für die drei neuen großen Asymmetrien von Investitionen, Technologietransfer und Wettbewerb. Behörden und Gesetze schützten chinesische Firmen vor dem Aufkauf durch ausländische Investoren. Beim Technologietransfer würden europäische Unternehmen in China über neue Sicherheitsgesetze gezwungen, Verschlüsselungen für ihre Software offenzulegen. Oder sie müssten als Preis für den Zugang zu Chinas Markt Teile ihrer Technologie transferieren. Im Wettbewerb, wenn es um strategisch wichtige Übernahmen geht, können chinesische Unternehmen mit ihren "Kriegskassen" alle Konkurrenten schlagen, weil ihnen Staatsbanken mit Vorzugskrediten unter die Arme greifen. (Johnny Erling, 12.6.2016)