Berlin – Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel will zum Auftakt ihres China-Besuchs am Sonntag eine Rede zur Rechtsstaatlichkeit halten. Es wird erwartet, dass sie vor Studenten an der chinesischen Akademie der Wissenschaften den repressiven Umgang Chinas mit Bürgerrechtlern, kritischen Politikern und Organisationen anspricht.

Die Kanzlerin war am späten Samstagabend zu dem dreitägigen China-Besuch aufgebrochen. Begleitet wird sie von sechs Ministern und fünf Staatssekretären sowie hochrangigen Unternehmern. Am Montag stehen in Peking die vierten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen auf dem Programm. Am Dienstag besucht Merkel ein BMW-Werk in Shenyang.

Neues Gesetz schränkt NGO-Arbeit ein

Vor ihrem Abflug kündigte sie an, bei den Gesprächen in Peking den Umgang Chinas mit ausländischen Nichtregierungsorganisationen anzusprechen. Sie werde dafür werben, dass die "für alle sehr gewinnbringende Arbeit der politischen Stiftungen, aber auch anderer Nichtregierungsorganisationen hier nicht zu negativ beeinflusst" werde und weiter möglich sei, sagte Merkel in einem Video-Podcast.

Nach ihren Worten trägt die Arbeit der Stiftungen dazu bei, dass sich Deutschland und China näher kennenlernen – dies sei eine "Win-win-Situation" für beide Staaten. Ein von der chinesischen Führung geplantes Gesetz verbietet ausländischen Nichtregierungsorganisationen (NGOs), "politische Aufgaben" zu verfolgen oder zu finanzieren. Es soll Anfang 2017 in Kraft treten.

Forderungen an Merkel von Menschenrechtlern

Der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestages, Michael Brand (CDU), forderte Merkel auf, Eingriffe in Freiheitsrechte anzuprangern. "Dialog ist absolut wichtig, allerdings ist Dialog kein Selbstzweck", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Wenn Partner wie China, Russland oder die Türkei rote Linien überfahren, muss die Bundesregierung ein Stoppschild setzen, das auch verstanden wird." Peking hatte Brand das Visum verweigert, weil er nicht der Aufforderung des chinesischen Botschafters in Deutschland gefolgt war, kritische Tibet-Artikel von seiner Homepage zu löschen.

Menschenrechtler haben die deutsche Kanzlerin Angela Merkel aufgefordert, sich bei ihrem China-Besuch ab Sonntag für die Menschenrechte einzusetzen. William Nee von Amnesty International sagte, Merkel solle die chinesischen Behörden drängen, "die Belästigungen, willkürlichen Festnahmen, Folter und andere Misshandlungen, Inhaftierungen und das zwangsweise Verschwinden von Bürgerrechtsanwälten zu beenden".

Ihre Rechte und Meinungsfreiheit bei der Förderung von Rechtsstaatlichkeit müssten geschützt werden. Amnesty-Experte Nee forderte auch die Freilassung aller Anwälte und Aktivisten, die nach der Verfolgungswelle seit vergangenen Sommer noch festgehalten werden. Nach Angaben der Hongkonger Vereinigung für Menschenrechtsanwälte (CHRLCG) sind 23 formell inhaftiert. Seit Juli seien mehr als 300 Anwälte, Kanzlei-Mitarbeiter, Aktivisten und Familienmitglieder verhört, festgenommen, unter Hausarrest gehalten, an der Ausreise gehindert worden oder verschwunden.

Benachteiligte Minderheiten und Investoren

Die deutsche Kanzlerin solle sich in ihren Gesprächen mit Chinas Führung außerdem für ein Ende der Verfolgung von Tibetern, Uiguren, Mongolen oder anderen Mitgliedern von Minderheiten aussprechen, die nur ihre Rechte auf freie Meinungsäußerung oder Religionsausübung ausgeübt hätten. Es müsse auch ein Ende finden, dass Kritiker oder Beschuldigte zwangsweise aus anderen Ländern zur Strafverfolgung nach China gebracht würden, sagte Nee.

Am Montag richtet Peking die vierten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen aus. Wichtige Themen während der Reise sind die Benachteiligung deutscher Investoren, chinesische Überproduktion, Billigimporte, Chinas geplante Einstufung als Marktwirtschaft, Chinas umstrittene Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer und die Menschenrechte.

Dumping-Verfahren wegen Stahlpreisen

Zum Vorgehen der EU gegen Billigimporte der chinesischen Stahlindustrie sagte Merkel, "wir haben im Augenblick eine sehr komplizierte Situation auf dem Stahlmarkt". China produziere etwa die Hälfte der Stahlmenge, was auch deutsche Unternehmen beeinflusse. Deshalb sei es Aufgabe der EU-Kommission zu schauen, ob ein Anti-Dumping-Verfahren notwendig sei: "Wir werden uns strikt auf der Grundlage der Welthandelsorganisation verhalten – da kann ich für die Kommission wirklich die Hand ins Feuer legen."

Die deutsche Industrie hofft auf einen weitergehenden Schutz vor Dumping und einen Abbau der Überkapazitäten in China. "Es gibt in China Marktzugangshemmnisse, die so in Europa nicht existieren", sagte der Hauptgeschäftsführer des Industrieverbandes BDI, Markus Kerber. (APA, dpa, 12.6.2016)