Materialforscher Cornelius Kolig: "Ohne Titel" (1972) heißt dieses Objekt aus Plexiglas, fluoreszierendem Rot, Holz und Schraubzwingen.

Foto: Belvedere, Wien

Wien – Wer sagt, es gebe kein Paradies, irrt. Es liegt im kärntnerischen Vordernberg, nahe der italienischen Grenze, aufgebaut vom österreichischen Künstler Cornelius Kolig: Das Paradies, so nennt er jenes umfängliche Areal im Ländlichen, das ihm als Arbeitsplatz, Schaudepot, Wohnraum dient. Seit 1979 arbeitet er an dem Landschaft und Natur einbeziehenden Gesamtkunstwerk, dessen Gebäude Namen wie Pantheon, Saustall, Sixtina oder Rauschgarten tragen.

Sie heißen aber auch Rechte Niere und Linke Niere – ein Verweis darauf, dass Kolig sein Paradies als riesigen Organismus sieht, dessen Stoffwechsel eben Kunst hervorbringt. Selbige kann man vor Ort erleben, immer wieder findet sie aber auch ihren Weg hinaus aus dem Paradies. Aktuell ist eine kleine Retrospektive zum höchst eigenständigen Schaffen Koligs im 21er-Haus zu sehen: Dem 1942 geborenen Künstler ist der erste Schwerpunkt in der Sammlungspräsentation Die Sprache der Dinge gewidmet.

Diese zeigt Kunst, die den Fokus mehr auf das verwendete Material lenkt als darauf, in welche Formen dasselbe gebracht ist. Klassischer Minimalismus ist mit einer Arbeit von Donald Judd vertreten, aber auch Experimente mit "kunstfernen" Materialien, wie sie etwa Rudolf Polanszky mit monumentalen Assemblagen aus Aluminium und Plexiglas unternahm. Eine schöne Arbeit Josef Bauers thematisiert das "Material Sprache" und sein Verhältnis zur Wirklichkeit. Thematisiert wird aber auch das immaterielle Digitale.

Intuitiv und kurzweilig

Mehr als 200 Werke von 67 Künstlern haben die Kuratoren Luisa Ziaja und Axel Köhne zu ihrem ziemlich belastbaren Thema versammelt. Man habe indes, sagt Ziaja, nicht "übertheoretisieren", sondern intuitive Zusammenstellungen finden wollen. Herausgekommen ist eine kurzweilige Schau, in der etablierte zwanglos mit jungen Positionen vermengt sind. So ist auch eine schöne Serie von Lochkamerafotos Andreas Duschas zu entdecken oder ein robotisiertes, Betrachter neckendes Wandbild von Thomas Baumann.

Geschenkt, dass die Schau ob ihrer Fülle und Dichte ein wenig fahrig geraten ist. Umso glücklicher daher die Entscheidung, einen (wechselnden) Schwerpunkt zu setzen. Fast wie ein Ruhepol nimmt sich die integrierte Retrospektive Organisches zu Cornelius Kolig aus, in der man sich abseits des Schlaglichtergewitters also in ein kleines Stück des Vordernberger Paradieses vertieft.

Es ist ein auf wunderbare Weise wunderliches. Da gibt es etwa ein Konstrukt, das an einen elektrischen Stuhl erinnert. Den Auflageballen für die Hand bildet allerdings eine dekorative Holzkugel auf einem motorisierten Drehteller: Statt letalen Stroms soll dieser martialisch anmutende Stuhl, geschweißt aus Vierkantrohren, den Fingerspitzen lediglich unerhörte haptische Erlebnisse bescheren.

Leibfreundlicher Kosmos

Überraschen mag auch der Titel dieses "Tastobjekts" von 1977: Kopf. Doch gerade Widersprüche, Spannungsfelder sind es, die den Materialforscher Kolig interessieren. Exemplarisch ist eine Serie von Plexiglasobjekten, die sich organischen Formen, etwa Blasen, annähern: Seit 1964 befasst sich der Künstler mit Kunststoffen, erkundet die Möglichkeiten, aus synthetischen, als anonym verschrienen Materialien wie PU-Schaum naturhafte oder ausdrucksvolle Gebilde zu schaffen.

Dass Koligs Kosmos so leibfreundlich ist wie es sich für ein Paradies gehört, macht die Installation Baubo (1979-85) klar: Sie enthält eine Serie expressiv gemalter Vaginen, die man "Porträts" nennen möchte: Sie sind jeweils mit Frauennamen überschrieben. Von einem entspannten Verhältnis zu Körperöffnungen erzählt aber auch die Orgelpfeife (1987), die so auf einem Stativ montiert ist, dass Betrachter sie – entsprechende Verrenkungen vorausgesetzt – per Anus zum Tönen bringen könnten.

Koligs sprudelnder Witz – einschließlich charmanter Zoten – zielt darauf ab, das Verhältnis zwischen Körperwelt und Zivilisation zu erkunden und deren Widersprüche letztlich zu überwinden. Eine wesentliche Prämisse seines Paradieses, von dem einige Entwurfsmodelle auch im 21er-Haus zu sehen sind, ist es, trotz Verwendung weltlicher Materialien Fremdbestimmtheit respektive Entfremdung von der Natur so gering wie möglich zu halten.

Sogar mit dem Tod nimmt es der Kärntner dabei auf: Akustische Reanimation (2007) nannte er einen absurden Sarg, in den per Lautsprecher Musik eingespielt wird: sanftes Klaviergeklimper, aber auch unbehagliches Grollen. (Roman Gerold, 10.6.2016)