Kreuzfahrten sind nicht gerade ein Ort, an dem man hippe Grafikdesigner, coole Bloggerinnen und gut gelaunte Yogalehrer vermuten würde, und den Ausruf "Für 500 Euro von Kolumbien nach Portugal!" schreibt man eher der Großmutter zu als dem Freelancer von nebenan. Und doch sind auf dem Schiff, das dieses Wochenende in Lissabon an Land geht, rund 200 Menschen mit an Bord, die sich selbst als digitale Nomaden bezeichnen. Ihr Ziel: Arbeit mit Urlaub verbinden. Ein Anglizismus ist für diesen Lifestyle schon gefunden: Workation.

Warum das Büro nicht auf ein Kreuzfahrtsschiff verlegen? "Nomad Cruise" ist eines von vielen Angeboten für Workations: 200 Menschen nahmen an der Überfahrt von Kolumbien nach Portugal teil.
Foto: Dinko Verži

Büro mit Surfboard

"Nomad Cruise" ist eines der verrücktesten Workation-Angebote, und die Überfahrt findet bereits zum zweiten Mal statt. Johannes Voelkner hat die Kreuzfahrt zwischen Arbeit und Vergnügen organisiert. Man sieht ihm an, dass er mehrere Monate im Jahr in Strandnähe verbringt. Braungebrannt und in legerem Shirt lächelt Voelkner von seiner Website, im Hintergrund das Meer. Nachdem der Deutsche knapp vier Jahre die Welt bereist und durch Onlinemarketing sein Geld verdient hatte, machte er seinen Lifestyle zum Business: Nomad Cruise ist bereits das zweite Angebot, das Voelkner organisiert. Wer im Winter lieber im Süden weilt, kann seinen Arbeitsplatz für 180 Euro pro Monat ins spanische Tarifa verlegen. Voelkner hat dort einen Coworking-Space.

Die meisten arbeitenden Weltenbummler sind selbstständig oder Freelancer. Dass oft das Vergnügen im Vordergrund steht, will auch Voelkner nicht bestreiten. Es gibt allerdings auch Angestellte unter den digitalen Nomaden. Ihre Arbeitgeber haben mit der Abwesenheit kein Problem.

Zwölf Städte – zwölf Monate

Einer von ihnen ist der Kanadier Jeff Gaughan. Sein Büro befindet sich aktuell in den Bergen von Montenegro, nachdem er die letzten Monate in Bolivien, Peru und Kolumbien verbrachte. Gaughan ist einer von 75 Teilnehmern bei "Remote Year". Das Motto lautet bei diesem Angebot: zwölf Städte in zwölf Monaten. Ein verlockendes Angebot: Mehrere tausend Bewerber folgten dem Aufruf, die 75 wurden durch ein mehrteiliges Aufnahmeverfahren ermittelt. Für 24.000 Euro sind alle Reisen zwischen den Destinationen, die Unterkünfte, Arbeitsplätze und verschiedene Aktivitäten inkludiert.

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Für viele digitalen Nomaden steht Netzwerken und Vergnügen im Vordergrund, manche sind aber auch auf See produktiv.
Foto: shellygraphy.com

Während der nächste Jahrgang im September von Kuala Lumpur aus startet, freut sich Gaughan, dass sein Trip noch andauert. Der 28-Jährige arbeitet für ein Londoner Unternehmen, das Start-ups hilft, staatliche Förderungen zu bekommen. "Meinen Vorgesetzten ist es egal, ob ich physisch anwesend bin, solange ich meine Arbeit gut mache", sagt Gaughan, der für Kundenbeziehungen zuständig ist. Während er um die Welt reist, ist er via Skype und firmeneigenem Interface zugeschaltet.

Nicht immer fancy

Das Beispiel Remote Year zeigt aber auch, dass nicht alle Anbieter halten, was sie auf perfekt gestalteten Websites und in ansprechenden Videos versprechen. Ehemalige Teilnehmer kritisierten die Workation in einem Reiseblog stark – teilweise sei man in fensterlosen Kellerzimmern untergekommen, und auch das mit der schnellen Internetverbindung klappte nicht immer. Im vierten Monat hatte bereits ein Viertel der Teilnehmer die Gruppe verlassen. Auch die versprochene Unterstützung für all jene, die während der Reise ihre Jobs verlieren – und davon gab es einige -, blieb aus. Die Organisatoren versuchten die Gruppe mit Vergünstigungen und Aktivitäten bei Laune zu halten, heißt es in dem ausführlichen Bericht. "Wir lernen ständig vom Feedback unserer Teilnehmer", schreibt eine Mitarbeiterin von Remote Year auf Anfrage zu den Vorwürfen der Süddeutschen Zeitung.

Österreich kein Zielland

Den Boom stoppen solche Pannen aber nicht: Aktuell gibt es Workation-Angebote wie Sand am Meer. Die Idee ist immer die gleiche: Als Anbieter nimmt man den digitalen Nomaden das oft lästige Organisieren ab. Sie bezahlen für eine funktionierende Infrastruktur mit Unterkunft, Arbeitsplatz, schnellem Internet und manchmal auch Verpflegung, Fortbildung und Party. Das Ganze natürlich lieber im peruanischen Dschungel als in Jesolo. Manche Anbieter haben sich auf bestimmte Berufsgruppen spezialisiert, andere überprüfen gar nicht, ob die Teilnehmer überhaupt arbeiten.

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In Österreich gibt es bislang weder Anbieter, noch haben digitale Nomaden die Südsteiermark oder den Bregenzerwald für ihre Workations entdeckt. Auch etablierte Reiseagenturen reagieren bislang nicht mit eigenen Angeboten, wahrscheinlich mit guten Grund: Die Zielgruppe googelt sich lieber das nächste Abenteuer und vergleicht Reviews dazu, anstatt im Reisebüro im Katalog zu blättern. (lhag, 12.6.2016)