Wien – Im Jahr 2012 haben Forscher um die ehemals auch in Wien tätige französische Molekularbiologin Emmanuelle Charpentier eine molekulare Gen-Schere (CRISPR/Cas9) entdeckt, mit der sich DNA gezielt schneiden und verändern lässt. Weltweit wird das Verfahren als enormer Fortschritt in der Biotechnologie gefeiert. Möglich wäre eine Anwendung etwa in der Therapie von Viruserkrankungen.

Bakterien nutzen diesen Mechanismus zur Abwehr von Bakteriophagen – Viren, die Bakterien infizieren. Bei dieser Abwehrreaktion fügen die Bakterien zahlreiche Kopien kurzer DNA-Stücke des Phagen (die als CrispR bezeichnet werden) in ihr eigenes Erbgut ein. "Diese eingebauten DNA-Sequenzen dienen der Bakterienzelle als 'Gedächtnis', um die virale DNA bei einem neuerlichen Virus-Befall zu erkennen und mit dem Enzym Cas9 (CrispR associated 9) spezifisch zu zerstören", beschreibt Irene Görzer vom Department für Virologie der MedUni Wien das Verfahren.

Chronische Infektionen

Nach der Entdeckung der Methode hätten Forscher schnell erkannt, dass man sich diese sequenz-spezifische, natürlich vorkommende Gen-Schere zunutze machen kann, um jede beliebige DNA-Sequenz in Zellen oder Virus-Genomen gezielt zu verändern. "Derzeit wird intensiv erforscht, wie man die Gen-Schere CRISPR/Cas9 auch dafür nutzen kann, krankmachende virale DNA aus menschlichen Zellen zu entfernen. Somit hätte diese Gen-Schere das Potenzial, als antivirale Therapie eingesetzt zu werden", so Görzer.

Die Forscher konzentrieren sich dabei vor allem auf chronische Virusinfektionen, die durch humanpathogene Viren wie zum Beispiel das Hepatitis-B-Virus (HBV) oder HIV verursacht werden können. Bei diesen chronischen Virusinfektionen kann die virale DNA ein Leben lang in bestimmten Zellen des Menschen überdauern. Ausgehend von diesem Virus-Reservoir kann es immer wieder zu einer Virusvermehrung kommen. Die bestehenden antiviralen Therapien können nur die Vermehrung eindämmen, die virale DNA wird jedoch nicht angegriffen. Das Ziel ist also, mit der Gen-Schere die virale DNA aus den infizierten Zellen zu entfernen und somit diese chronischen Virusinfektionen vollständig auszuheilen.

Gezielte Weiterentwicklung

Dafür müsste aber die Methode jeweils für die einzelne Erkrankung so weiterentwickelt werden, dass Zellen ohne das Virus-Erbgut zuverlässig verschont werden. "Dafür wurden zum Beispiel Versuche mit modifizierten Leberzellen durchgeführt. In der Zellkultur wurden diese Zellen mit HBV infiziert und anschließend die Gen-Schere in die infizierten Zellen eingebracht", so die Expertin. "Unter diesen in vitro Bedingungen konnte gezeigt werden, dass die Gen-Schere die HBV-DNA gezielt verändert und die Virusvermehrung dadurch reduziert wird." Auch HIV-DNA dürfte mit der Gen-Schere angreifbar sein, allerdings kann es offenbar auch zu einer Resistenzentwicklung der HI-Viren kommen.

Die größte Herausforderung sei, herauszufinden, mit welcher Methode die Gen-Schere am effizientesten und sichersten nur in die infizierten Zellen im Menschen eingebracht werden kann. Weiters muss vor einer möglichen Anwendung genau geklärt werden, wie das Immunsystem des Menschen auf das CRISPR/Cas9 System reagiert.

Hoffnung auf Heilung

"Deshalb verfolgen einige Forschungsgruppen einen anderen therapeutischen Ansatz, der darauf abzielt, die weißen Blutzellen von HIV-infizierten Personen gegen eine Infektion mit dem HI-Virus resistent zu machen", so Görzer. Dabei müsse die Gen-Schere nicht in den Organismus eingebracht werden. "Man weiß, dass Personen, die eine bestimmte Variante des CCR5-Rezeptors mit einer Deletion von 32 Aminosäuren auf ihren weißen Blutzellen tragen, kaum mit HIV infizierbar sind. In diesem therapeutischen Ansatz werden HIV-infizierten Patienten weiße Blutzellen entnommen, die dann in der Kulturschale weiterbehandelt werden. Die Gen-Schere wird dazu verwendet, die 32 Aminosäuren aus dem CCR5-Rezeptor der weißen Blutzellen herauszuschneiden."

Das wäre eine autologe Transplantation von weißen Blutkörperchen, die eine Resistenz gegen HIV aufweisen. Längerfristig würde das diesen Lymphozyten einen Überlebensvorteil verschaffen und zu einem von den Aids-Erregern nicht mehr angreifbaren Immunsystem führen. (APA, 11. 6. 2016)