Massen begeisterter Fußballfans pilgern jetzt nach Frankreich. Präsident François Hollande und sein Premier Manuel Valls freuen sich über die willkommene Ablenkung von ihren akuten Problemen. Natürlich blickt man auf die entsprechenden Einnahmen, nicht etwa der Uefa, weil diese hochkorrupte Institution trotz erwarteter 900 Millionen Gewinn keine Steuern zahlen wird (ein Geschenk von Nicolas Sarkozy 2010 für die Gesellschaft Euro 2016 SAS, zu 95 Prozent in den Händen der Uefa), sondern durch die Millionen Touristen, wenngleich diese wegen des immer noch geltenden Ausnahmezustands viel spärlicher geworden sind. Aber die wirkliche "bonne nouvelle" für die Regierung ist vielmehr, dass sie damit die großen sozialen Bewegungen aushebeln wird. Und danach ist sowieso Sommerpause.

Endlich Brot und Spiele, eigentlich nicht so viel Brot für die Franzosen – die Arbeitslosigkeit schlägt alle Rekorde – aber was für Spiele!

Rassismus und Homophobie im Stadion sind gang und gäbe, aber jetzt meckert der Lump Karim Benzema (der sonst in Madrid spielt), dass er aufgrund antimuslimischer Vorurteile nicht ins Team einberufen wurde! Dass er in eine kriminelle Erpressungsaffäre mit einem Sextape involviert ist, ist anscheinend nebensächlich. Serge Aurier, der bei Paris Saint-Germain spielt, hat seinerseits vor ein paar Monaten homophobische Beschimpfungen gegen seinen Trainer online gestellt und dann vor zwei Wochen einen Polizisten verbal angegriffen. Sein Mitspieler beim PSG, Zlatan Ibrahimovic, der für Schweden spielen wird, hat Frankreich einfach als "Scheißland" bezeichnet.

Das sind die neuen Helden, die in allen Sportblättern bejubelt werden. Diese Milliardäre, deren einziges Talent darin besteht, einem Ball hinterherzulaufen, stehen für Immoralität und Kapitalismus in seinen schlimmsten Ausprägungen (Steuerhinterziehung ist in diesem Milieu so selbstverständlich wie der Verkauf von Spielern auf dem Mercato).

Genau wie die Olympischen Spiele werden die Fußball-EM und -WM von totalitären Institutionen organisiert. Der Profifußball steht in erster Linie für Verschleierung (vor allem Korruption, mafiöse Kinderausbeutung und moderne Sklaverei werden immer noch gerne unter den Teppich gekehrt), Idolatrie (Spieler werden quasi wie Helden der Antike gesehen, Personenkult ohne Ende, natürlich nur von Männern) und falsche soziale Versprechungen (als ob Fußball je ein Integrationsmittel gewesen wäre).

Von wegen Integration

Sogar im Wien-Museum hat man am 2. Juni das wunderbare Märchen der Integration mit einer Diskussion "Wunderteam einst & jetzt" erzählt. Empirische soziologische Studien haben im Gegenteil gezeigt, dass der Fußballsport in puncto Integration nichts bringt. Türken spielen in türkischen Vereinen, Serben in serbischen usw. Dasselbe gilt für die Hakoah, den jüdischen Sportklub in Wien: ein Bekannter spielt dort Basketball und freut sich: "Wir sind unter uns!"

Und wenn es nicht um die Legende der Integration durch Fußball geht, träumen die Österreicher von einem neuen Córdoba 1978. Der Mythos hält! Wer weiß schon, dass bei der WM 1978 in Argentinien, unter der damaligen Militärjunta von Jorge Rafael Videla in denselben Stadien, in denen die Fußballspiele stattfanden, auch Oppositionelle gefoltert wurden?

Die EURO wird überall instrumentalisiert. Drei Monate vorher haben schon die Panini-Bilder alle Schulen überflutet (für die WM 2014 wurden in der ganzen Welt eine Milliarde Stickers verkauft). Die französische Botschaft in Österreich setzt auch viel auf die EM. Auf der Webseite findet man seit Wochen einen "Countdown" (Tage, Stunden, Minuten, Sekunden) und viel Werbung (Propaganda) für diese weltweit zelebrierte Betäubung, und das auf einem sehr infantilen Niveau mit einem Maskottchen. Schon am 12. April hat man dort mit einem "Business Club" österreichische VIPs angelockt: der Pokal war da! Hauptpunkt des Programms, ein ehemaliger Spieler, Didier Six (Jahrgang 1954), war in der französischen Botschaft zugegen. Toll! Im Casino Baden hat man aus diesem Anlass auch noch eine Party für auserwählte Gäste veranstaltet.

Und was wird für das Volk getan? Na ja, der Botschafter hat in November das Palais Clam-Gallas, in dem sich seit Jahrzehnten das Kulturinstitut befand, an Qatar verkauft (das gleiche autoritäre Regime, das Milliardenbeträge in den neuen französischen Fußball-Dauermeister PSG pumpt), der Umzug findet in diesem Sommer statt. Und das abschließende Kulturprogramm beschränkt sich auf zwei wichtige Veranstaltungen: Bücherverkauf und Möbelverkauf.

Sonst wird es auch EURO-Events geben, aber es werden "Private Public Viewings" in den Sälen der französischen Botschaft sein, wie der Botschafter im April im "Business Club" erklärt hat.

Für diejenigen, die sich für die französische Kultur interessieren, bleibt nur die kurze Präsentation der Austragungsstätten vor den Fußballmatchs: Lille, Lyon, Nizza, Marseille usw. Die EURO, die mit schrecklichen Public Viewings viele Bürger stören und unsere Städte verschmutzen wird, bedeutet letztendlich nichts anderes als Opium fürs Volk, und zwar vom 10. Juni bis 10. Juli ohne Unterbrechung. (Jérôme Segal, 9.6.2016)