Berlin/Moskau – Als Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew am Dienstag in Berlin stolz verkündete, dass sein Land ab 2019 Gas in die EU liefern werde, reagierte sein russischer Kollege sofort: Wladimir Putin verkündete, dass die russischen Gasprojekte zur Versorgung der Türkei und Südosteuropas "definitiv" nicht ad acta gelegt worden seien.

Nach einer Phase, in der milliardenschwere Gasprojekte in sich zusammenbrachen, wirkt es plötzlich wieder so, als ob es nun mindestens drei konkurrierende Pipeline-Projekte zur Versorgung Süd- und Südosteuropas geben könnte.

Dabei hatte Putin im Streit mit der EU nach der Krim-Annexion zunächst das South-Stream-Projekt Anfang Dezember 2014 gestoppt, das Gas über Bulgarien in die EU bringen sollte. Dann war die Planung für die alternative Pipeline Turkstream Richtung Türkei wegen der Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Türkei über Syrien nicht weiter verfolgt worden. Und schon zuvor war das Nabucco-Projekt gestorben, das unter Ägide der OMV Gas aus Zentralasien an Russland vorbei nach Europa bringen sollte.

Aus Sicht von Kirsten Westphal, Energieexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), ist diese Entwicklung aber nicht verwunderlich. Vor allem Russland pokere mit Pipeline-Projekten und wolle nach einer Phase der geopolitischen Konfrontation zurück ins Geschäft, sagte sie. "Vor allem weiß Putin: Um milliardenschwere Gasplanungen zu beeinflussen, muss man Pipelines nicht bauen – es reicht, dass man über sie redet."

Russland versuche deshalb derzeit, seine dominante Stellung als Gaslieferant Westeuropas zu sichern, sagte Westphal. Denn die Ukraine und auch die Türkei drohten als wichtige Märkte für russisches Gas aus politischen Gründen wegzubrechen. Und der russische Energie-Gigant Gazprom habe sich zwar über Langfristverträge mit den Europäern erhebliche Marktanteile weit über 2020 hinaus gesichert. Aber auch die USA drängten mit Flüssiggas auf den Markt. Je mehr alternative Gaslieferanten an die EU herangeführt werden, desto geringer der Einfluss der Russen. Der Kampf gegen mögliche neue Lieferanten wird deshalb mit harten Bandagen gespielt: Lieferungen aus dem rohstoffreichen Turkmenistan gen Westen werden etwa durch einen Streit über die Nutzung des Kaspischen Meeres verhindert.

Immerhin hat es das Kaukasusland Aserbaidschan geschafft, ein Konsortium für den laut Alijew 35 Milliarden Dollar teuren "südlichen Korridor" zusammenzubekommen, in dessen Rahmen die Pipelines Tap und Tanap gebaut werden sollen. In einem ersten Schritt sollen über Tap aus Aserbaidschan zehn Milliarden Kubikmeter Gas durch eine Pipeline über Georgien und die Türkei gen Richtung Westen geschickt werden. Beteiligt seien mittlerweile sieben Staaten, davon drei EU-Länder, sagte der aserbaidschanische Präsident in Berlin nach einem Treffen mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Diese unterstützt das Projekt ebenso wie die EU-Kommission, weil es die Versorgungssicherheit Europas erhöhen würde. Interessant wird der "südliche Korridor" aber vor allem, wenn später auch Gas aus Iran oder Nordirak gen Westen strömen könnte. Dann ist an ein Volumen von rund 60 Milliarden Kubikmeter pro Jahr gedacht.

EBRD-Unterstützung

Dass die EU-Kommission und möglicherweise auch die Osteuropabank (EBRD) das Projekt unterstützt, ist aber durchaus umstritten. "Entgegen aller rechtlicher Vorgaben gelten für die Gaspipeline aus Aserbaidschan steuerliche Sonderbedingungen, keine Transitgebühren und ein Bau durch tendenziell gefährliches Gebiet", kritisierte etwa die deutsche Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (Linkspartei). Tatsächlich gibt auch die deutsche Regierung in einer Reuters vorliegenden Beantwortung einer Kleinen Anfrage der Linkspartei an, dass die Kommission dem Tap-Projekt für 25 Jahre eine Ausnahmegenehmigung gibt: Es muss in dieser Zeit kein Gas von einem weiteren Anbieter in die Pipeline einspeisen. Genau auf diesen nötigen Zugang anderer Anbieter dringt die EU aber bei russischen Pipeline-Projekten. "Die EU bricht europäisches Recht, wenn es darum geht, Russland vom Markt zu drängen", kritisiert Dagdelen deshalb.

SWP-Expertin Westphal sieht dies ähnlich: Da es erklärtes Ziel der EU sei, die Gasversorgung auf eine breitere Grundlage zu stellen und andere Anbieter zu fördern, sei die Kommission bei nicht-russischen Projekten weniger streng. "Die EU läuft Gefahr, doppelte Standards bei Pipelines anzulegen. Hochproblematisch ist, wenn Bedingungen für russische Projekte nachjustiert werden", stellte auch sie fest.

Interessant ist der neue Fokus auf den "Südlichen Korridor" auch deshalb, weil in den vergangenen Monaten vor allem über den Ausbau der Ostsee-Pipeline (Nord Stream II) gestritten wurde, durch die mehr russisches Gas aus Westsibirien nach Deutschland kommen soll – die österreichische OMV ist bei diesem Vorhaben mit an Bord.

Während in Deutschland der SPD-Teil in der Regierung das Projekt offen unterstützt, sind Polen, die Ukraine und Italien vehement dagegen: Die beiden osteuropäischen Staaten fürchten, dass Russland künftig Gas an ihnen vorbei nach Westeuropa schicken will, wodurch ihnen die Transitgebühren verloren gingen. Italien wiederum möchte lieber eine direkte Anbindung Südeuropas auch an russisches Gas. Die EU-Kommission sieht bei dem Projekt deshalb nach Angaben von Kommissionsvize Marcos Sefcovic "rechtliche, geopolitische und wirtschaftliche" Bedenken. Je größer die Wahrscheinlichkeit aber wird, dass Nord Stream II nicht kommen könnte, desto mehr schauen Investoren auf die Südschiene. (APA/Reuters, 8.6.2016)