Im Mai besetzten Umweltaktivisten die Gleise und das Gebiet rund um das Braunkohlekraftwerk des Energieunternehmens Vattenfall. Der Betrieb musste auf 20 Prozent seiner Kapazität gedrosselt werden, da der Nachschub an Kohle ausging.

Foto: Ende Gelände

Wien – Menschen in weißen Schutzanzügen und mit Atemmasken gehen durch eine Kraterlandschaft, klettern auf große Bagger und tragen Transparente mit der Aufschrift "Energiewende jetzt" und "Es geht schon lange nicht mehr nur um Eisbären". Sie sind Teil des Klimabündnisses "Ende Gelände", das im deutschen Kohlerevier in der Lausitz eine Aktion organisierte. 3500 Aktivisten aus zwölf Ländern besetzten im Mai zwei Tage lang den Braunkohletagebau des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall.

Parallel dazu fanden unter dem Namen #breakfree2016 weltweit 20 Aktionen gegen den Klimawandel statt. "Das ist ein globales Problem, daher gibt es beim Einsatz für Klimagerechtigkeit keine Nationalgrenzen", sagt Magdalena Heuwieser, Aktivistin der österreichischen Klimabewegung "System Change not Climate Change!". Mit 70 anderen österreichischen Aktivisten kam sie in die Lausitz, um gegen den Braunkohleabbau zu demonstrieren.

Klimaschädliche Braunkohle

Wenn das Abkommen der Pariser Klimakonferenz eingehalten werden soll, müssen sich Industrieländer wie Deutschland bis etwa 2027 von fossilen Energien verabschieden, fordern die Klimaschützer. Nur so könne die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden, sagt Felix Ekardt, Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin.

Zuerst sollte die Braunkohle im Boden bleiben: Sie ist der schädlichste fossile Brennstoff, bei dessen Verbrennung doppelt so viel CO2 freigesetzt wird wie bei der Verbrennung von Erdgas. Deutschland trägt 2,36 Prozent zum weltweiten CO2-Ausstoß bei und gehört damit zu den zehn größten CO2-Produzenten der Welt, wie das Statistikportal Statista errechnete. Dafür sind auch die Braunkohlekraftwerke verantwortlich: Laut Aufzeichnungen der EU-Kommission stehen vier der fünf klimaschädlichsten Braunkohlekraftwerke Europas auf deutschem Boden. Knapp ein Viertel des deutschen Stroms wird aus Braunkohle gewonnen, wie der Bundesverband für Energie- und Wasserwirtschaft ausweist.

Der Grund: Braunkohle ist günstig, da sie nicht importiert wird, die Kraftwerke können fast durchgehend laufen – allerdings mit negativen Folgen: Für den Abbau werden Dörfer umgesiedelt, der Grundwasserspiegel wird gesenkt und die Luft verschmutzt.

Gesellschaftliche Folgen

"Wenn Menschen ihr Auto auftanken oder Akkus aufladen, sehen sie nicht, dass Landschaften zerstört werden oder Personen an Atemwegserkrankungen leiden", sagt Ekardt, der in den günstigen Strom- und Treibstoffpreisen diese gesellschaftlichen Folgekosten vermisst. Greenpeace schreibt in einer Studie, dass die Marktpreise von Braunkohlestrom nicht aussagekräftig für die tatsächlichen Kosten seien. Für Georg Erdmann, Professor für Energiesysteme an der TU Berlin, sind die Angaben der Umweltorganisation "fragwürdig, da neue Braunkohlekraftwerke durch den technischen Fortschritt sauberer sind". Bei der Umsiedelung würden Betroffene zudem Entschädigungen für ihr "Sonderopfer zugunsten des Gemeinwohls" erhalten.

Vattenfall will damit nichts mehr zu tun haben: Der Betreiber hat erkannt, dass mit Kohle kein Geld mehr zu machen ist, und will die Werke verkaufen. Er zahlt dem Käufer zusätzlich 1,7 Milliarden Euro, damit sich dieser nach der Stilllegung um die Rekultivierung der Lausitz kümmert. Eine am Dienstag veröffentlichte Studie im Auftrag deutscher Umweltorganisationen kritisiert, dass mit diesen verpflichtenden Zahlungen zwar die Kosten für Rekultivierungen gedeckt seien, aber nicht jene für die ökologischen Langzeitfolgen.

Daher fordern die "Ende Gelände"-Aktivisten den sofortigen Stillstand von Vattenfalls Werken. "Es ist Ansichtssache, was legal und was legitim ist. Wir finden, diese Umweltzerstörung sollte illegal sein", sagt Heuwieser. Daher seien die Störaktionen "nur legitim". Das Ergebnis: Das Kraftwerk lieferte während der Blockade nur noch 20 Prozent seiner Kapazität. Für Erdmann sind die Proteste positive "Aufmerksamkeitserzeugung", Ekardt und Heuwieser finden sie für gesellschaftlichen Wandel essenziell. Am Vorgehen einiger Aktivisten gab es aber auch Kritik: Es kam zu gewaltsamen Zusammenstößen mit dem Wachpersonal und der Polizei – es gab 120 Festnahmen.

Versorgungssicherheit

Braunkohlebefürworter sehen die Versorgungssicherheit gefährdet. "Diese hängt davon ab, ob es gelingt, die Elektrizitätsnachfrage jederzeit zu deckeln. Das kann durch verbleibende fossile Kraftwerke, Stromimporte, Stromspeicherkapazitäten oder Flexibilität erreicht werden", sagt Erdmann. Er hält es aber für "ein wenig absurd, heute Geld für das vorzeitige Stilllegen von Kraftwerken in die Hand zu nehmen, wenn man sie vielleicht bei künftigen Versorgungsproblemen benötigen wird". Denn Wind- und Solarenergie sind wetterabhängig.

Etwa 8000 Arbeitsplätze wären von der Stilllegung der Lausitz-Kraftwerke betroffen. Daher fordert Ekardt, die Lausitz schon jetzt zu einer Region für erneuerbare Energien zu machen: "Man kann nicht ewig auf die Lösung von gestern setzen." (Selina Thaler, 9.6.2016)