Mutterschaft, Mütterbilder und die Untersuchung der zahlreichen Klischees und Zuschreibungen sind nur selten Thema von wissenschaftlichen Studien.

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Maya Dolderer, Hannah Holme, Claudia Jerzak, Claudia, Ann-Madeleine Tietge (Hg.)
"O Mother, Where Art Thou?"

(Queer-)Feministische Perspektiven auf Mutterschaft und Mütterlichkeit
Westfälisches Dampfboot 2016
217 Seiten, 24,90 Euro

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Mama (gesprochen zumeist "Maaaamaaahh") ist das am häufigsten gebrauchte Wort – im Alltag. Und in der Wissenschaft? "Maamaaahhh" wäre hier mal laut in den wissenschaftlichen Kanon zu rufen. Großartiges Echo darf jedoch nicht erwartet werden. Denn Mutterschaft, Mütterbilder und die Untersuchung der zahlreichen Klischees und Zuschreibungen sind, nicht allein gemessen am vermeintlichen Alltagswissen dazu, nur selten Thema von Studien und Betrachtungen.

Lücke im wissenschaftlichen Kanon

Diese massive Lücke kann der Sammelband mit dem schönen Titel "O Mother, Where Art Thou?" natürlich nicht vollständig ausfüllen. Aber wenn das Buch nur der Tropfen auf den heißen Stein ist, dann bedeutet das: Wenn so wie durch die Autorinnen und Autoren in dem Reader auf den trockenen Stein der Wissenschaft gepinkelt wird, dann dampft das gehörig!

Dampf, der hoffentlich nicht so schnell verraucht. Denn, wie die Herausgeberinnen selbst schreiben, die Frage nach Verortung von Mutterschaft innerhalb queer-feministischer Zusammenhänge kann nicht beantwortet werden. Obwohl sich die gesellschaftlichen Probleme verändert haben und "entgegen dem Gleichberechtigungsanspruch, der mittlerweile durch Elternratgeberliteratur und staatliche Programme zugunsten einer paritätischen Aufteilung der Fürsorgearbeiten und -rechte verwirklicht werden soll, sieht die Lebensrealität von Müttern zumeist anders aus."

Schwangerschaft und Mutterschaft sind meist begleitet von retraditionalisierenden Tendenzen. In ihrer Körperlichkeit passen sie so gar nicht zu den "Bemühungen um die Irritation und Transformation hegemonialer Konstellationen von sex, gender und Begehren": ein Grund, weshalb sie in queer-feministischen Debatten bisher weitgehend ausgespart wurden, so die Vermutung der Herausgeberinnen. Dabei wurden mit der Mutterschaft akuter werdende Problematiken wie die Umverteilung von Sorgearbeit bereits von Clara Zetkin angesprochen. Seit den 1970er-Jahren wurde dies vor verschiedenen ideologischen Hintergründen verhandelt und zum Teil auch gelebt.

Tradierte Mutterbilder

Wie wenig sich dadurch jedoch am tradierten Mutterbild geändert hat und warum dies so ist, stellt Sarah Speck in ihrem, zugegeben etwas schwer lesbaren, aber trotzdem wahrlich schockierenden einführenden Beitrag, zur Schau. Auf ganz andere Weise, aber ebenso eindrucksvoll thematisiert dies Dorothee Beck in ihrem Text über die Mutter-Metapher als politische Kategorie in den Medien. Die diskreditierende Bezeichnung als "Mutti" ist bei Judith C. Enders und Mandy Schulze, die feministische Mutterschaft im Ost-West-Vergleich betrachten, ebenso Thema wie das ewig schlechte Gewissen.

Letzteres spielt auch in Bettina Haidingers Beittrag über transnationaler Mutterschaft eine große Rolle. Haidinger schafft es darin, diese wissenschaftlich leider nur wenig behandelte Care- und Migrationsthematik auch aus dem Blickwinkel heteronormativer Familienvorstellungen zu betrachten. Das tut auch Sarah Diehl. Auch wenn es bei ihr vordergründig um Frauen geht, die keine Kinder wollen, verhandelt sie hervorragend sozialgesellschaftliche Praktiken, Erwartungshaltungen, Vorurteile, medial und politisch geschürte Feindschaften zwischen Menschen mit und ohne Kinder. Mit einer Anregung zur sozialen Elternschaft leitet sie perfekt in den zweiten Teil des Buches über, der Texte zu Kollektivität und Solidarität versammelt.

Der einleitende Text von Gisela Notz zum Konservatismus der 1970er-Jahre und den Gegenbewegungen wirkt zunächst bekannt. Trotzdem ist er in dem Buch sehr wichtig. Denn dieser kurze Rückblick lässt die Frage offen, warum sich bis heute keine Alternativen zum tradierten Familienmodell durchsetzen konnten. Unter "black people" gebe es diese schon, meint Akilah S. Richards und verweist etwa auf das von Bel Hooks beschriebene "Othermothering". Anstatt jedoch, wie das leider zu häufig geschieht, in ethnoromantisierenden Bildern afrikanischer Dorfgemeinschaften aufzugehen, macht sie diese gelebte Solidarität am Schutz vor Rassismus fest. Dies alles schreibt sie in sehr schönem Stil, der Wissenschaftliches mit persönlichen Erfahrungen kombiniert. Ähnlich wie Joke Janssens Blick auf die trans*/queere Elternschaft, in dem u. a. die Frage verhandelt wird, ob nun besser von Eltern- oder Mutterschaft zu sprechen sei.

"Binnenfeministische Horizonterweiterung"

Eine, die sich gegen die Vermeidung des Mutterschaftsbegriffs ausspricht, weil damit der Blick auf die Stereotypisierung des Bildes verloren gehen würde – und darin stimme ich ihr voll zu –, ist Lisa Malich. Sie prägte den Begriff "fuckermothers", der "die Möglichkeit des Einschlusses diverser Subjektpositionen" gebe, und betreibt den gleichnamigen Blog. Dass feministische Mutterschaftsblogs wie dieser zwar nicht die Lücke wissenschaftlicher Mutterschaftsbetrachtungen füllen können, aber zur "binnenfeministischen Horizonterweiterung" sehr gut sind, beschreibt Marie Reusch in ihrer Analyse.

Ob ich nun empfehlen soll, den dritten Teil des Buchs über Für- und Selbstsorge zu lesen, bin ich mir nicht sicher. Das jedoch nicht, weil die Texte schlecht wären. Ganz im Gegenteil, sie sind großartig – aber darin auch äußerst frustrierend. So rechnet der von Tochter Fritzi so ernannte "Mama-Papa" Jochen König mit vermeintlich linksalternativen Rollenmodellen ab. So viel Reflexionsvermögen und persönliches Engagement lässt Hoffnungen auf neue Rollenmodelle entstehen, etwa dass sich Frauen in Lysistrata-Manier nur noch mit solchen Väterpersonen fortpflanzen.

Doch dem ist nicht so, wie Ann-Madeleine Tietge in ihrer psychologischen Untersuchung von Paaren herausfand, die sich von heternormativen Lebensentwürfen abgrenzen und als eigentlich feministisch verstehen. Sie deckte dabei auf, dass diese Beziehungen oft eher einem Mutter-Sohn-Verhältnis gleichen – im Sinne des "parasitären Charakter der männlichen Kultur, welcher auf der emotionalen Stärke der Frauen aufbaut". Mütter würden darin noch mehr als bisher als die Personen manifestiert werden, die ohnehin alles (allein) schaffen (müssen).

Möglichkeiten für politischen Kampf

Perfekt schließt daran das Interview mit Tove Soiland an. Die Psychologin befürchtet, dass das "Phantasma der Verfügbarkeit der Frau" als Mutter durch die Liberalisierung der Gesellschaft noch verstärkt wird, ebenso wie das ewige Schuldgefühl durch zunehmende Individualisierung. Zum Glück zeigt sie am Ende noch ein paar Möglichkeiten für den politischen Kampf auf. Und zum Glück sind dies die letzen Seiten des Buches und nicht der Auszug aus Sabine Dreßlers Roman "Therese", der so drastisch die Überforderung, aber auch soziale Ächtung einer Mutter eines Schreikindes zeigt. Denn so liefert das Buch noch Alternativen und Notwendigkeiten für die weitere Beschäftigung mit dem Thema Mutterschaft, die es hoffentlich in großer Zahl geben wird. Inhaltlich bietet der Sammelband viele Anregungen dazu – und qualitativ setzt er höchste Ansprüche. (Christine Braunersreuther, 14.6.2016)