Viele Österreicher fürchten den Zugriff des Staates auf ihr geerbtes Vermögen. Eine Minderheit würde gerne die Früchte an alle verteilen.

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Wien – Geht es um das Thema Erbschaftssteuer, ist eines gewiss: Diskutiert wird höchst kontrovers. 2008 wurde sie in Österreich abgeschafft, im Gegensatz zu 19 EU-Ländern, darunter Deutschland. Aufs Tapet kam sie hierzulande wieder im Zuge der Steuerreform.

In beiden Ländern ist eine Mehrheit der Bevölkerung dagegen. 39 Prozent sprachen sich in Österreich 2014 in einer Erhebung des Market-Instituts eher für die Wiedereinführung für alle aus, 49 Prozent dagegen. In Deutschland ist die Ablehnung noch größer. Dort wird das vererbte Vermögen auf bis zu 300 Milliarden Euro taxiert, hierzulande auf über zehn Milliarden.

Was man bislang nicht wusste: Wie begründen Menschen in Österreich und Deutschland ihre Unterstützung oder Ablehnung? Jens Beckert, Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln, hat sich der Frage erstmals wissenschaftlich angenähert. Beckert beschäftigt sich mit dem Thema schon sehr lange.

Unverdientes Vermögen

Seine Position: Die Vermögensvererbung habe erhebliche Effekte für die Fortschreibung sozialer Ungleichheit zwischen den Generationen. Erbschaften nennt er unverdientes Vermögen. Trüge man dem Leistungsgedanken Rechnung, müssten Arbeit und Erben gleich hoch besteuert werden. So argumentierte Beckert auch in einem STANDARD-Interview 2014. 1.600 Forenbeiträge löste der Artikel aus. Rund ein Fünftel kam bei einem Interview mit dem deutschen "Spiegel" zusammen. Diese Beiträge hat er wissenschaftlich ausgewertet.

Eines vorweg: Der Wert für Zustimmung und Ablehnung lag in der Analyse etwa einen Prozentpunkt neben den Werten der Market-Umfrage. Was sowohl bei Gegnern als auch bei Befürwortern auffiel: Begründungen, die Interessenverbände und Experten regelmäßig ins Treffen führen – etwa die Folgen für Unternehmen –, spielten kaum eine Rolle. 45,7 Prozent der derStandard.at-Kommentare wurden übrigens als unsachlich "aussortiert". Beim "Spiegel" waren es 14,6 Prozent. Als möglichen Grund nennt Beckert die potenziell emotionalere Diskussion hierzulande.

Und welche Argumente wurden auf den Tisch gelegt? Sowohl Gegner als auch Befürworter bezogen sich am häufigsten auf die Rahmenbedingungen. Die Befürworter mit 21 Prozent sogar noch mehr als die Gegner (19 Prozent).

Vor allem die Wirksamkeit, die Umsetzbarkeit – etwa durch Schwierigkeiten bei der Feststellung der Erbsumme oder durch folgende Verlagerungsstrategien – und die Akzeptanz in der Bevölkerung wurden angezweifelt. Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) griff Letztere in der politischen Diskussion gerne auf. Der Forscher interpretiert dies als "Verstecken hinter behaupteten, unbeeinflussbaren Faktoren".

Als wichtigstes Argument führten die Gegner das Recht auf Eigentum an: 16 Prozent sahen das eigene Vermögen als Privatsache, in die der Staat sich nicht einzumischen hat. Vergleiche mit Enteignung und Kommunismus kamen häufig auf. Ein typisches Argument, dessen sich schon die Vorfahren bedienten, so Beckert. Es reicht ins 19. Jahrhundert zurück. Was sich in einem häufig genannten Punkt eindeutig zeigt: Dass eine Erbschaftsteuer aufgrund hoher Freibeträge in aller Regel die Oberschicht betrifft, ist weithin unbekannt. Die Mittelschicht, so die Furcht, könnte am sozialen Aufstieg gehindert werden.

Glaube an eine Korrektur

Die Befürworter behaupteten bei alldem naturgemäß das Gegenteil: Die Einhebung sei möglich, akzeptiert würde sie, würden nur wirklich große Vermögen besteuert. Für sie standen die Problematik der sozialen Ungleichheit und der Glaube, sie korrigieren zu können – das am zweithäufigsten genannte Thema –, weit vorne bei den Begründungen. Das Leistungsprinzip, bei Befürwortern wie Gegnern ein weiterer wichtiger Punkt, interpretieren Erstere so: Nicht die Leistungen des Erblassers, sondern die Leistungslosigkeit der Erben steht im Vordergrund.

Die Gegner hingegen treibt insgesamt eine allgemeine Unzufriedenheit mit staatlichen Institutionen an. Die größte Gruppe der von ihnen abgegebenen Kommentare (65,3 Prozent) charakterisiert sie als "unzufriedene Gegner".

Was für Beckert als ausgewiesenen Fürsprecher der Erbschaftssteuer den Schluss zulässt, dass Befürworter erst dann eine Mehrheit auf ihre Seite ziehen, wenn sie die Gegner überzeugen, dass die Steuer nicht in die Hände "inkompetenter, verschwenderischer" staatlicher Akteure fällt.

Die Erbschaftsteuer in der politischen Debatte mit auf Chancengerechtigkeit zielenden Investitionen etwa im Bildungsbereich zu verbinden, hielte er für eine Idee. Allein ist er damit nicht: Irmgard Griss hatte sie als Präsidentschaftskandidatin im Repertoire. (Regina Bruckner, 8.6.2016)