Außenminister Sebastian Kurz.

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Wie das Amen im Gebet neigen "Werte"-Diskussionen dazu, bei den Themen Ausländerfeindlichkeit und all den vielfach – oder viel zu oft? – zitierten einheimischen Ängsten vor Flüchtlingen zu enden. So auch zu Wochenbeginn bei der Veranstaltung der in Wien angesiedelten EU-Agentur für Grundrechte (FRA): "The Media and the Battle for European Values" lautete der Titel. Sicherlich hatten die Wochenendinterviews des österreichischen Außenministers dazu beigetragen, dass auch bei dieser Veranstaltung Moderation und Diskutierende bei dem Thema "Angst vor Flüchtlingen" ausweglos hängen blieben.

Die Message des Außenministers besagte bekanntlich kurz formuliert: Flüchtlinge, die den lebensgefährlichen Fluchtweg über das Mittelmeer wagen, sind nicht reif für den europäischen Kontinent, sondern nur für diese oder jene zu einem Internierungslager umzufunktionierende Mittelmeerinsel. Nach Lesbos ist nun auch von Griechenlands Toptouristenattraktion Kreta die Rede. Bekanntlich ist Kreta der Sage nach ja der Geburtsort des stierköpfigen, menschenfressenden Minotaurus.

Menschenrechtskonvention

Dem Außenminister schwebt bei der Lösung der Flüchtlingsfrage das australische Modell vor. Austria ist zwar nicht Australien, in Österreich sind stattdessen Stickers und T-Shirts mit der Aufschrift "No Kangaroos in Austria" ein Hit – dennoch könnte das große Australien nun ein Vorbild für das kleine Österreich werden. Australien ist bekanntlich nicht Unterzeichner der europäischen Menschenrechtskonvention, kann sich also in dieser Hinsicht unbeschwerter allerlei Grauslichkeiten leisten, die Österreich verwehrt sind.

Flüchtlinge, die als Boatpeople versuchen, in Australien an Land zu gehen, werden schon draußen im Meer von der australischen Marine abgefangen und wieder zurückgeschickt. Wo sie dann landen, ist gleichgültig. Und die, die es trotzdem bis nach Australien schaffen, werden auf einer Insel interniert. Als Vorbild könnten hier die US-amerikanischen Gefangeneninseln San Quentin und Alcatras gedient haben. Für Europa böten sich aus Sicht des österreichischen Außenministers doch bestens die Mittelmeerinseln an. Damit blieben nebstbei auch die Kontinentalländer vor Flüchtlingsängsten bewahrt.

Hat übrigens irgendjemand bisher in all den Diskussionen ernsthaft darüber nachgedacht, welche Ängste die Einwohner der griechischen Inseln haben könnten? Warum ist deren Situation keine Rede, keine Analyse wert? – Wir erinnern uns, knapp vor der Flüchtlingskrise machte die sogenannte griechische Finanzkrise Schlagzeilen. Sind deshalb bis heute allfällige Ängste griechischer Bürger nicht gleichwertig mit den Ängsten von Kontinentaleuropäern zu berücksichtigen?

Flüchtlings-Hotspots

Stellen wir uns doch einmal folgende Situation vor: EU-Mittelmeerstaaten erklären, Flüchtlings-Hotspots wären am besten in bzw. auf einer europäischen Binneninsel aufgehoben. Mit viel Stacheldraht drum herum und ohne die so schwer kontrollierbaren Fluchtmöglichkeiten über Wasserwege. Mir persönlich ist nur eine EU-kontinentale Binneninsel bekannt: Österreich, dessen Einwohner selbst gern ihr Land eine "Insel der Seligen" nennen. Man stelle sich also vor, auch auf dieser Insel würden auf einmal Flüchtlings-Hotspots errichtet. Andererseits, warum eigentlich nicht? Ist die Seele von Österreicher und -innen schonungsbedürftiger als jene ganz normaler Griechen und Griechinnen?

Fast alle Medien stürzen sich seit dem Wochenende auf die "Kurz"-Version der Flüchtlingsfrage. Für den Bürgermeister von Lesbos kommt diese einer Kriegserklärung gleich. Am liebsten würde er dem österreichischen Außenminister einen Fußtritt verpassen, erklärte er einer österreichischen Tageszeitung. Eine andere Zeitung schürt das Antiflüchtlingsfeuer um ein Vielfaches fantasievoller mit der Aufmacherstory: "'Unrein' – Konfliktfall Hund: Warum Muslime das Tier meiden." Das österreichische Radio widmete heute, Dienstag, in seinem "Morgenjournal" Innenminister Sobotka gar ein langes Interview, um Kurz Schützenhilfe zu geben.

Halbe Wahrheit?

Sebastian Kurz hatte am Montag im "ZiB"-2-Interview gegenüber Moderator Armin Wolf gemeint, die Medien berichten nur die halbe Wahrheit, wenn Australien im Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik ein Folterstaat genannt werde. Immerhin fiel nicht das Wort Lügenpresse. Doch was ist halb wahr an Berichten, die, gestützt auf die internationale Menschenrechtsorganisation Amnesty International und deren Bildmaterial, darüber informieren, dass Australien Schlepper zahlt, damit diese ihre Flüchtlinge wieder zurück- bzw. auf ferne Inseln bringen. "Noway" heißt übrigens die von Kurz favorisierte Flüchtlingspolitik Australiens.

Flüchtlinge dorthin zu bringen, von wo sie aufgebrochen sind, hieße im Falle Europas auch die Kooperation mit Libyen zu suchen. Das ist ein bekanntlich in sich zerrissener Staat. Dessen Regierung hat mitgeteilt, dass sie nicht bereit sei, Flüchtlinge, deren Ziel Europa war, wieder aufzunehmen. Kurz erklärte nun im TV-Interview, das Land sei doch gesprächsbereit. Dies habe ihm jedenfalls kürzlich sein libyscher Amtskollege signalisiert.

"Lautes Schweigen"

In den libyschen Haftlagern werden übrigens Flüchtlinge gefoltert, vergewaltigt, an Freier und Menschenhändler verkauft. Vor der libyschen Küste sind in der vergangenen Woche laut dem Hilfswerk der Vereinten Nationen, UNHCR, mindestens sechs Boote gesunken und 880 Menschen ertrunken. Mit Netzen wurden die Menschen aus dem Wasser gefischt, lebende und tote. Auch ein Liebespaar: zwei einander umarmende Leichen. Nachzulesen in der aktuellen Ausgabe der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit" auf Seite 1. "Lautes Schweigen" wird hier die europäische Asylpolitik genannt.

In Brüssel ist Kurzens Lösungsversuch nicht wirklich gut angekommen. In einem Interview mit der italienischen Tageszeitung "La Stampa" meinte EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, in Europa setzten viele Politiker mehr auf Slogans, statt "wahre Antworten" zu suchen. Offenbar fällt es hier wie dort leichter, Interviews zu geben als direkte Gespräche zu suchen. Aber auch diese Vermutung muss nicht unbedingt wahr sein.

Dreitägige Konferenz im Juni

"Die Medien und der Kampf für europäische Werte", zu dieser Diskussion also hatte die EU-Agentur für Grundrechte an diesem flüchtlingsbewegtem Montag österreichische Printjournalisten und eine Journalistin geladen, u. a. auch einen Repräsentanten der hundefreundlichen Zeitung. Die Veranstaltung diente zugleich als Hinweis auf eine dreitägige Konferenz, die Ende Juni abgehalten wird: das Grundrechte-Forum 2016 – the Fundamental Rights Forum 2016.

Dieser Drei-Tage-Grundrechte-Marathon kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Aus den Unterlagen der EU-Agentur geht hervor, dass auch ein Marktplatz der Ideen im Kongresszentrum der Wiener Messe organisiert wurde. Dort haben diverse Vertreter der Zivilgesellschaft und engagierte Kunstschaffende ihre Infostände. Im Rathaus geben sich währenddessen hochrangige EU-Politiker und -innen ein Stelldichein. Sogar über Kunst wird dort parliert. Das Ganze ist offenbar sehr gut gemeint und bestens finanziert. Selbst die Stiftung eines bekannten Möbelhauses in Skandinavien hat sich an diesen Wiener Grundrechtetagen beteiligt. Laut Programm sind allerdings die traditionellen internationalen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, Ärzte ohne Grenzen oder Reporter ohne Grenzen nicht dabei. Warum eigentlich nicht? (Rubina Möhring, 7.6.2016)